Woanders

Das Zimmer ist in Beige-Tönen gehalten. Die Tapete mit den dezenten Streifen ist an den oberen Kanten bereits braun, an einigen Stellen im Zimmer lösen sich die Ecken der Tapetenbahnen bereits von der Wand ab. Dafür umrahmen üppige Gardinen die Türen zum Balkon, auf dem ich über die Dächer der Stadt blicken kann. Die Tür zur Minibar hängt ein wenig schief und die Armaturen im Bad haben sicher früher einmal geglänzt. Heute haben sie eine Patina, der man die vielen Jahre ansieht, in denen zahllose Gäste das Zimmer vor mit genutzt haben.

Das Bett ist frisch und sauber, auf dem ich die letzten Stunden verbracht habe. Ein bisschen Nachmittagsschlaf, danach Mails bearbeiten und Ähnliches mehr. Ich bin in Mailand mit einer Gruppe, die bereits ausgeschwärmt ist und sich wahrscheinlich dem Shopping-Kaufrausch hingibt, sodass ich die freie Zeit für mich nutzen kann. Was ich auch getan habe, in meinem Hotelzimmer im fünften Stock.

Ich habe über zwei Stunden lang wieder einmal eine Erzählung gelesen, die ich bereits kenne. Dabei habe ich nicht wahrgenommen, wie sehr die Zeit vergangen ist. Statt dessen bin ich sehr tief in die Geschichte eingetaucht und habe die Protagonistin begleitet, derweil sie durch die Wohnung und die Geschichte gewandert ist. Sie steht mir sehr nah, ich kann ihre Gefühle und ihr Handeln verstehen, fühle mit ihr, wenn sie erschüttert und traurig ist und freue mich für sie über die positiven Wendungen in der Geschichte. Ich kenne sie sehr gut und bin mit ihr durch die Räume geschlendert, recht zögerlich allerdings, obwohl ich jeden Meter kenne, habe alles mit ihren Augen betrachtet und zusammen mit ihr Musik gehört. Es waren schöne, intime Stunden, wie ich sie so auch noch nicht erlebt habe. Ich war einfach weg aus diesem Hotelzimmer, ganz woanders.

Eine richtig schöne Geschichte, die mir sehr viel bedeutet. Ich habe sie selbst geschrieben…..

Woanders

Ein Gedanke zu „Woanders

  • 6. Dezember 2022 um 11:26 Uhr
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    Ich stelle mir Dich als einen guten Geist für sie vor. Du bist ihr wichtig, auch wenn sie nicht weiß, ob Du da bist. Wenn sie manchmal zu wissen glaubt, nun aber wirklich, mit allem Spott und Hohn, von sämtlichen guten Geistern verlassen zu sein und sich unbeholfen rüstet gegen genau dieses Gefühl. Wenn Du sie so sehen kannst, wie es Deine Worte zeichnen… weißt Du, welche Stunde für sie schlägt.

    Gerade stelle ich mir vor, ich wäre sie…

    Ich weiß, wie gefährlich nah das sein kann.

    Ich verzeih mir.

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