Manchmal staune ich über mich selbst. Oder sollte ich besser sagen, ich bin verwundert über mich und meine Reaktionen?
Wie lange habe ich gebraucht, bis ich es lernte, meine Grenzen wahrzunehmen und mich für ihre Einhaltung stark zu machen! Und doch muss ich noch immer aufpassen, dass Menschen mit übergriffigem Verhalten mich nicht einschüchtern und vergessen lassen, was ich in den Jahren der Therapie erfahren habe. Laut und deutlich “Nein!” sagen zu können – warum fällt mir das so schwer?
Aktuelles Beispiel ist eine Kundin, die eventuell mehr in mir gesehen hat, als ich bin oder für sie sein möchte. Wir hatten während der Reise im Rahmen eines Abendessens ein gutes und intensives Gespräch über unsere unterschiedlichen Vergangenheiten, kamen auf selbstgeschriebene Texte und Gedichte und streiften auch das Zeitgeschehen und den Wetterbericht. Ein für mich ganz normales Gespräch mit meinen Gästen, wobei ich ehrlich und offen über mich rede, soweit das in der Unterhaltung angemessen erscheint und thematisch passend ist. Ähnliche Gespräche habe ich auch mit anderen Gästen geführt!
Nun begann sie, mir zu schreiben, innerhalb von vierundzwanzig Stunden drei Mails. Es waren keine aufregenden Inhalte, die darin enthalten waren, einmal sandte sie mir ein Gedicht von Erich Fried. In der letzten Nachricht brachte sie ihre Verwunderung zum Ausdruck, dass ich noch nicht geantwortet hatte. In meinen Ohren kam damit eine Erwartung zum Ausdruck, ja fast eine Forderung, dass ich ständig ihre Mails zu beantworten hätte.
Nachdem ich das gelesen hatte, spürte ich wieder einmal meinen Magen, der mich immer darauf bringen will, über ein ungutes Gefühl zu reflektieren und zu schauen, was dahinter verborgen ist. Ich ließ die Nacht und den Vormittag vergehen und setzte mich dann im Sonnenlicht an meinen Tisch und schrieb ihr eine Antwort. Artig bedankte ich mich für ihre Nachrichten. Dann stellte ich klar, dass ich ihr meine dienstliche Emailadresse zwar genannt hatte, damit aber keine Zusage einher gegangen war, mit ihr täglich zu schreiben. Ich schrieb nicht, dass ich niemals antworten würde, wies ich aber auch darauf hin, dass mich ein Austausch über Gedichte eher wenig interessiert. Ich bat sie um Verständnis, auch in Bezug auf die viele Arbeit, die ich derzeit habe.
Nach meiner Meinung habe ich eine ruhige, sachliche Antwort formuliert und meine Position ehrlich vertreten. Warum aber blieb mir ein mulmige Gefühl erhalten, auch nachdem ich die Mail auf den Weg gebracht hatte? Weil ich mich gegen eine Erwartung gestellt hatte, die an mich herangetragen wurde und der ich nicht nachkommen wollte? Weil ich nun einen Menschen enttäuscht und/oder verärgert habe? Weil ich “Nein” sagte, obwohl das aus der Erfahrung meiner Kindheit vollkommen inakzeptabel war? Weil ich auch geliebt und akzeptiert werden möchte und mich daher den Wünschen der Anderen anpassen muss? Weil ich wieder einmal in die Falle alter Gewohnheiten getappt war?
Ich sollte eigentlich mit mir zufrieden sein, weil ich für mich eine Grenze gezogen und diese klar kommuniziert habe. Und doch enttäuscht es mich, dass ich wieder einmal auf diesen alten Mechanismus hereingefallen bin. Obwohl der Kopf eine klare Analyse zustande bringt, wird mein Befinden von einem alten Gefühl torpediert. Und dies umso mehr, als die Kundin mir in ihrer Reaktion auf meine Nachricht einen Brief ankündigte, was bei mir ein Gefühl auslöste, das einer Angst nicht unähnlich ist. Innerlich wehre ich mich dagegen, aber es ist trotzdem da. Ich sage mir, dass ich den Brief ja gar nicht lesen muss. Aber es hilft noch nicht wirklich, es erfordert Energie, die ich für diese Sache gar nicht einsetzten möchte.
Ich sollte eigentlich mit mir zufrieden sein! In diesem Begriff scheint mir das Wort Frieden zu stecken, Frieden mit mir selbst. Ein innerer Frieden, den ich mir jetzt wieder erarbeiten muss. Nein, ich muss ihn mir zugestehen, nachdem ich meine Grenzen abgesteckt habe. Also noch einmal: Ich bin zufrieden und im Einklang mit meinem beschriebenen Handeln, auch wenn die alten Gefühle noch vorhanden sind.
Also noch einmal: Ich bin zufrieden!
Hi mein Lieber, Du hast das schon ganz richtig gemacht, Du machst, was für Dich ok ist ohne egoistisch zu sein. ich finde, Du machst das top. Aber ich denke, das Problem liegt eher in unserer Gesellschaft und dem heutigen Anspruchsdenken, dass man immer überall perfekt und für Alle da stehen und einsatzbereit sein “muss”. Ich erlebe das im Job auch immer wieder, sagste mal zu was “Nein” ziehen Alle “eine lange Nase” und sind beleidigt. Stör Dich nicht dran…
Sollte das das Gedicht ein Liebesgedicht sein, wollte die Gute Dich anbaggern. Dann lächele und fühle Dich geschmeichelt….
Alles Liebe, drück Dich,
Inken
Ein sehr interessantes Thema – das Nein sagen –
Habe damit auch immer wieder ein Problem.
Vielleicht können wir beim nächsten Telefoat mal darüber reden – würde mich freuen!
Alles Gute und liebe Grüße aus Geroldshausen!