Von einem, der auszog, sich selbst zu finden….
Vor über fünfzig Jahren bin ich in Berlin geboren worden. Ich hatte auch eine Kindheit, in meiner Erinnerung war es eine wenig Schöne. Nach dem Abschluss der Schule habe ich die Ausbildung zum Fotograf gemacht und bin dann nach Würzburg umgezogen, wo ich meinen ersten Arbeitsplatz gefunden hatte. Dort fand ich auch meine Frau, mit der zusammen ich zwei Kinder habe. Nachdem ich einige Jahre als angestellter Fotograf gearbeitet und währenddessen die Meisterprüfung im Fotografenhandwerk abgelegt hatte, machte ich in Würzburg mein eigenes Fotostudio auf. Das war eine sehr arbeitsreiche Zeit mit vielen schönen Erlebnissen und spannenden Aufträgen. Aber irgendwann war es mir nicht mehr möglich, mit diesem extremem Aufwand das Geschäft aufrecht zu halten. Und ich konnte mir nicht länger etwas vormachen. Ich war am Ende, mit dem Geschäft, der Ehe und mit mir selbst – am Ende eines Weges, der vielleicht ein Irrweg gewesen war….
Vielleicht war das der Beginn meines Weges: Ich trennte mich von meinen Geschäftsräumen, von meiner Frau und dann vom eigenen Image eines Mannes, der alles schaffen kann. Und als ich alles abgelegt hatte, merkte ich, dass ich tatsächlich nicht mehr konnte. Diverse Aufenthalte in psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken folgten. Und es war ein schwerer, innerer Kampf, nicht aufzugeben und gute Gründe zum Weiterleben zu finden. Und das ist es immer noch. In dieser Zeit habe ich mich, einem inneren Bedürfnis und lang gehegten Wunsch folgend, unter schwierigen, wirtschaftlichen Bedingungen entschlossen, auf dem Jakobsweg zu laufen und auf diese Weise meinen fünfzigsten Geburtstag ganz für mich allein in Santiago de Compostela zu begehen. Das habe ich geschafft, nach 880 Kilometern, für die ich dreißig Tage benötigte. Ich hatte mich auf den Weg gemacht….
Aber das allein war noch nicht die Lösung. Weiterhin folgten heftige Stimmungstäler, unglücklich kombiniert mit großer Existenzangst angesichts der veränderten beruflichen Bedingungen und der zunehmenden Erkenntnis, dass meine Zeit als Fotograf wohl zu Ende gegangen war. Als glückliche Fügung habe ich es erlebt, in dieser Phase wieder in eine Klinik zu kommen. Ich erlebte dort zum ersten Mal als Mensch eine ungeahnte Wertschätzung, lernte Achtsamkeit, Meditation und innere Führung kennen und bekam Kontakt mit einem ganz besonders für mich passenden Therapeuten, der mir half, der inneren Leere und Orientierungslosigkeit zu begegnen und dabei zu lernen, auf meine innere Stimme hören. Und irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mich auf den Weg machen sollte, meinen ganz eigenen Weg, völlig frei von den Spuren meiner Vergangenheit. Dass ich mich frei machen sollte von fremden Werten, die mich unbemerkt weiterhin regiert und limitiert hatten. Also habe ich mich wieder auf den Weg gemacht…
Diesmal scheint mir der Aufbruch heftiger, größer, wilder zu sein. Nicht nur der Weg ist um ein Vielfaches länger und aufwändiger, auch die Begleitumstände werden gravierend anders sein. Ich werde aus finanziellen Gründen meine Wohnung aufgeben und mich von dem größten Teil meines Besitzes trennen, alles unter dem Aspekt der Finanzierbarkeit der Wanderung. Und es geht ein starker Reiz von dem Gedanken aus, so wenig Besitz zu haben. Das hatte mich schon auf dem Jakobsweg fasziniert: wie wenig Dinge ich auf der Wanderung in Spanien dabei hatte – und nichts vermisst habe. Es wird ein Weg sein, ganz frei von materiellem Ballast, mit dem Ziel, auch den bewußt gewordenen, seelischen Ballast abzustreifen und dabei ein Leben zu finden, dass auch für mich das Meine ist. Dafür lohnt es sich, dass ich mich wieder auf den Weg mache….