Entscheidungen

Wie jeder andere Mensch bin auch ich ständig dabei, irgendwelche Entscheidungen zu treffen. Fahre ich rechts oder geradeaus? Stehe ich aus dem Bett auf oder bleibe ich noch ein bisschen liegen? Esse ich ein Frühstücksei oder bleibe ich beim Marmeladenbrot? Meistens sind es so kleine Entscheidungen, dass mir gar nicht auffällt, wie viel ich pro Tag entscheide. Natürlich gibt es auch Dinge, die für mich so wichtig oder so gravierend sind, dass es mehr Zeit braucht, um mir selbst darüber klar zu werden, wie ich entscheiden möchte. Und manchmal gibt es Entscheidungen, die ich gar nicht fällen möchte und um die ich mich am liebsten drücken würde.

Über meine Freunde habe ich hier schon oft geschrieben. Und das hat gute Gründe, denn ich habe wundervolle Freunde. Das Schöne daran ist, dass ich einmal eine bewusste Entscheidung getroffen habe, sie als Freunde haben zu wollen. Zudem war es ja eine gegenseitige Entscheidung, denn eine Freundschaft kann nie eine Einbahnstraße sein. Das ist auch der Unterschied zur Verwandtschaft, die sich zwangsläufig ergibt, ohne dass irgendeine Entscheidung dafür oder dagegen möglich ist.

Es versteht sich von selbst, dass ich mir bei der Auswahl meiner Freunde diejenigen aussuche, die mir gut tun und mit denen mich etwas verbindet, was im besten Fall auch etwas Unausgesprochenes sein kann. Umgekehrt ist es für mich schwer vorstellbar, dass ich mir bewusst Menschen als Freunde aussuchen könnte, die mir nicht gut tun. Natürlich verändern sich mit der Zeit auch die Beziehungen zu anderen Menschen. Und manchmal überlebt sich auf diese Weise eine Freundschaft. Manchmal auch, weil ich gemerkt habe, dass mir der Mensch auf Dauer eben nicht gut tut. Dies auszusprechen und die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, gehört zu den schwierigen Entscheidungen, vor denen ich mich gerne drückte….

Es gehört zu den menschlichen Qualitäten, anderen Menschen gegenüber Mitgefühl aufzubringen, denen es gerade nicht gut geht. Aus eigenem Erleben weiß ich das, und ich bin denen gegenüber ganz besonders dankbar, die dies mir gegenüber aufbrachten, als es mir in der Zeit der schweren Depression richtig schlecht ging. Sicherlich war ich in dieser Zeit auch manches Mal schwer erträglich. Dieses Mitgefühl verbraucht sich allerdings mit der Zeit, ganz besonders dann, wenn bei der Person langfristig kein Ansatz für die denkbaren oder möglichen Veränderungen zum Besseren erkennbar ist. Dann kann aus dem Mitgefühl schnell eine Gereiztheit entstehen, die auch eine, an sich stabile Freundschaft in Gefahr bringen kann. Auch das habe ich erlebt, aber die Freundschaft hat es überstanden. Denn ich habe mich selbst für die denkbaren und möglichen Veränderungen meines Befindens eingesetzt. Und ich bin stolz auf den Erfolg, der mir auch von meinen Freunden immer wieder gespiegelt wird.

Wie aber gehe ich mit Menschen um, die diesen Weg nicht gehen können oder wollen? Es wäre falsch, wollte ich mir einreden, dass mich das völlig kalt lässt. Im Gegenteil! Menschen, die sich jeder Anregung verweigern, die die Einsicht in ihre Möglichkeiten nicht zulassen und statt dessen im Jammern und Lamentieren verharren, bringen mich an meine Grenzen. Menschen, die in jeder Suppe mindestens ein Haar finden, dazu ein freudloses Leben fristen und überall das Negative sehen, dem sie natürlich auch noch schutzlos ausgeliefert sind, kann ich einfach nicht mehr ertragen. Ich spüre körperlich und emotional, wieviel Kraft es mich kostet, so etwas auszuhalten. Ich versuche dann, zuzuhören, still zu bleiben und meine Gereiztheit zu unterdrücken. In meiner Herkunftsfamilie hieß es dann immer: „…um des lieben Friedens willen“. Aber wessen Frieden ist hier gemeint? Meiner doch wohl nicht! Statt dessen verbiege ich mich bis zur eigenen Unkenntlichkeit und versuche alles zu ertragen. Und merke doch sehr deutlich, dass es mir nicht gut tut. Aushalten um jeden Preis?

Wer, wenn nicht ich, sollte darauf achten, dass ich mich mit Menschen umgebe, die mir wirklich gut tun? Niemand anderes kann das für mich machen. So ist es doch geradezu meine Pflicht, auf mich achtzugeben und dafür Sorge zu tragen, dass mein Wohlbefinden nicht durch andere Menschen in Mitleidenschaft gezogen wird. Mitleiden – das ist genau das richtige Stichwort. Ich will nicht mitleiden und ich werde es nicht tun. Gerne werde ich auch in Zukunft Mitgefühl aufbringen und die Menschen bestmöglich unterstützen, denen es nicht gut geht. Bei meinen Freunden ist das ohnehin selbstverständlich. Niemand kann jedoch von mir erwarten, dass ich mit ihm leide, ganz unabhängig davon, ob das überhaupt möglich ist.

Aber ich bin auch nicht mehr bereit, durch jemanden zu leiden. Ich bin froh, dass ich inzwischen so stabil bin, dass ich das Leben positiv sehen kann. Das werde ich mir nicht kaputt machen lassen. Somit braucht es offensichtlich mal wieder Entscheidungen von mir. Und es sind wieder die eher Schweren….

 

Entscheidungen

2 Gedanken zu „Entscheidungen

  • 18. Oktober 2021 um 16:08 Uhr
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    Mich erinnert dieser Beitrag an den einsamen, aber schmerzverzehrend heulenden Wolf: War mal Dein „Krafttier“ – erinnerst Du Dich? Vielleicht braucht(e) es ihn gerade wieder – bis dann, andermal, zum Wieder/neusehenkönnen – vielleicht.

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  • 9. September 2021 um 18:28 Uhr
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    Lieber Matthias, ich bin mir nicht sicher, ob sich das gut anhört oder nicht, dass Du „mal wieder schwere Entscheidungen treffen musst“…Bin gespannt, um was es sich handelt. Ich drücke Dir die Daumen für die richtigen Entscheidungen. Denk an Dich….Liebe Grüsse, Inken

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