Ehrlich im Umgang mit anderen Menschen zu sein ist ein sehr hohes und wertvolles Gut. Im Umgang mit mir selbst ist es inzwischen eine meiner wichtigsten Eigenschaften, die zu kultivieren ich mich bemühe und für die ich viele Jahre gekämpft habe. „Die Wahrheit über sich selbst ist dem Menschen zumutbar“, heißt es in dem mir besonders wichtigen Buch „Nachtzug nach Lissabon“. Mir fällt das inzwischen einigermaßen leicht, wenn es auch manchmal einige Tage dauert, bis ich mit mir ins Reine komme – so auch diesmal. Es ist ja nicht immer angenehm, manchmal ist es auch ziemlich anstrengend. Der Blog ist ein Teil davon.
Wenn ich ehrlich bin, indem ich etwas ausspreche, teile ich etwas von mir mit und stehe zu mir. Halte ich dagegen etwas zurück, verschanze ich mich hinter meinem Schweigen. Das kann feige sein, weil ich mich aus Angst vor einer Auseinandersetzung oder den Konsequenzen nicht traue, etwas zu sagen und meine ehrliche Meinung zu sagen. Manchmal resultiert das Verschweigen auch aus dem Bemühen, etwas nicht auszusprechen, weil es dem Anderen wehtun würde. Es fällt mir meist schwer, diese Abwägung durchzuführen, weil ich die Klarheit schätze, die auf der Ehrlichkeit beruht. Oftmals bin ich daher als undiplomatisch wahrgenommen worden. Gerne wäre ich immer ehrlich: Frei von Angst und in der Sicherheit, Andere nicht dadurch zu verletzen.
Der Umfang meiner Offenheit und die Bereitschaft, über mich zu sprechen und von mir zu erzählen, verwundert manche Menschen. Ich wurde bereits zu Beginn meines Blogs gefragt, ob er nicht emotional exhibitionistisch wäre und die Gefahr der Verletzbarkeit angesichts zu großer Offenheit bestehe. Bislang habe ich das nie so gesehen und keine schlechte Erfahrung damit gemacht, sondern eher das Gegenteil erlebt. Was wäre auch eine Begegnung mit einem anderen Menschen, wäre ich nicht bereit, etwas von mit preisgeben und auf diese Weise mit dem Anderen zu teilen? Viele spannende Begegnungen hätte ich nicht erlebt, die dadurch entstanden waren, dass ich offen war und dem Anderen die Möglichkeit eröffnete, es ebenfalls zu sein.
Schaue ich dagegen auf meine Vergangenheit, so fällt mir auf, dass es immer wieder Menschen gibt, die lieber von meinem Leben hörten, als von dem Ihren zu erzählen. Kann es sein, dass sie gar nichts zu erzählen hatten, ein Innenleben bei ihnen gar nicht existierte? Menschen, die mehrheitlich in meinem Leben „mitleben“ wollten, als ein Eigenes zu gestalten? Die dadurch aufkommenden Vermischungen führten in früheren Beziehungen stets zu unklaren Zuständigkeiten und erheblichen Konflikten. Mehrfach hatte ich das Gefühl, dass mein Leben geradezu aufgesaugt wurde, speziell bei Menschen, die dazu noch ein Auge auf mich als potenziellen Partner geworfen hatten. Ich habe einmal einen guten Spruch gelesen: „In jeder Beziehung, in der zwei Menschen eins werden, ist das Resultat immer zwei halbe Menschen“! Und was bleibt denn von einem Menschen übrig, der sein Leben quasi aufgibt, um das Meine zu leben, und daher auch all das aufgibt, was ihn anfangs für mich interessant gemacht hatte? Und wie spannend ist es, einen Menschen kennen zu lernen und langsam ein bisschen in sein Leben eintauchen zu können?
Ich freue mich natürlich über das Interesse an mir. Jedoch dieses Gefühl, aus- oder angesaugt zu werde, macht mich wütend. Ich will das nicht und ich will das sagen dürfen, auch wenn es weh tut! Es geht dabei gar nicht um Geheimnisse, die ich eventuell haben könnte. Aber ich wünsche mir ein Gleichgewicht des Gebens und Nehmens, auch in zwischenmenschlichen Beziehungen, auch im Gespräch. Es soll ein Austausch sein und keine Einbahnstraße. Und ich möchte mein Leben behalten und selbst entscheiden, welchen Teil davon ich mit einem anderen Menschen teile. Und wenn ich dann mein Leben teile, tue ich es gerne und mit Freude!