Ich bin viel unterwegs. Frankreich, Schweiz, Österreich und Italien sind die Länder, deren Grenzen ich inzwischen häufig überquere. Jedesmal ist es für mich ein spannendes Erleben, die Fremdheit als Reiz wahrzunehmen und gleichzeitig den Schmerz des Fremdseins zu spüren. Das ging mir schon früher so, bevor ich mit dem Busfahren angefangen hatte. Und immer war ich gern unterwegs in europäischem Ländern, die ich in den wenigen Urlaubstagen, die ich mir früher geleistet habe, erreichen konnte. Aber auch, wenn bestimmte Unterschiede der Mentalität nicht zu vermeiden waren, wollte ich möglichst nicht als “typischer Deutscher” auffallen. Schon gar nicht als Besserwisser, Klugscheißer oder als einer, der die Menschen des besuchten Landes von oben herab behandelt.
Beispiele dieser Art habe ich live erlebt. Zum Beispiele Menschen, die auch im Ausland mit deutscher Sprache kommunizieren wollten und ungehalten darüber werden, dass sie nicht verstanden werden. Oder die einheimische Speisen ablehnen, ohne sie überhaupt probiert zu haben. Die die regionalen Unterschiede im Verhalten oder die Regeln des örtlichen Geschmacks nicht respektieren und meinen, sich gönnerhaft mit der Sicherheit ihrer deutschen Mentalität und dem gefüllten Geldbeutel über alles hinwegsetzen zu dürfen. Dabei zu sein und das zu erleben war mir immer höchst peinlich.
Ich erlebte mich dagegen als Gast und Beobachter. Nie konnte ich verstehen, warum andere Menschen so sehr auf ihr gewohntes Schnitzel bestanden, das bayerische Bier oder – noch schlimmer – auf die tägliche Bildzeitung. Für mich waren viel mehr die ungewohnten Eindrücke wichtig, die vielen kleinen Details, die ich dank des fotografischen Blicks wahrnehmen konnte. Dazu die einheimische Küche, das Warenangebot im Supermarkt und das Leben in den Bars und Cafes: Die Menschen eben und ihr Leben, das ich mir fremdartig gegenüber dem Meinen vorstellte, ohne eine Möglichkeit, das wirklich zu überprüfen.
Im täglichen Leben gib es dazu eine Parallele. Da gibt es Menschen, die die Grenzen zu meinem Leben überschreiten und sich nicht als Gast benehmen wollen. Die die ausgesprochenen oder unausgesprochenen Regeln, die mir in meinem Leben wichtig sind, nicht respektieren wollten. Die mein Eigentum benutzen, ohne zu fragen und sich selbstherrlich über alle meine Wünsche hinwegsetzen. Beispielsweise mein Dusch-Handtuch, das letzte ist inzwischen sogar verschwunden ist. Ich habe jetzt einen Zettel daran befestigt, mit dem ich jegliche Nutzung durch andere zu verhindern suche. Am nächsten Tag lag der Zettel im Müll, worauf ich ihn wieder hingehängt habe, mit dem Hinweis darauf, dass dieser Zettel offensichtlich notwendig zu sein scheint. Seither hängt er dort….
Dieser völlig unnötige Kleinkrieg und der darin zum Ausdruck kommende Mangel an Respekt entfacht bei mir meistens einen heftigen Zorn, den ich nicht in der Lage bin, angemessen auszudrücken. Der Zorn hat etwas unkontrolliertes, wie ein sinnlos tobendes Kind, und der Erwachsene ist nicht in der Lage, die notwendigen und angemessenen Worte dafür zu finden. Er liegt mir im Magen und vergiftet mir die Stimmung. Gerne würde ich, mit gelungenen Sätzen und gerne auch mit sarkastisch-ironischem Unterton die Einhaltung meiner Grenzen kommunizieren können, und zwar sofort, nicht erst Tage und Wochen später, wenn der Groll in mir vor sich hin eitert.
Wie lerne ich das?
Lieber Matthias, nach längerer Pause habe ich mich wieder in Deinen Blog vertieft und freue mich mit Dir über das, was Du alles geschafft hast. Es ist sehr berührend für mich, Dich auf diese Weise kennen zu lernen. In vielen Dingen, die Du beschreibst, finde ich mich auch selbst wieder und erkenne, dass es mit dem Weg nach innen ähnlich ist, wie mit den Wegen nach außen. Gehen zwei Menschen im Außen den gleichen Weg, sieht jeder etwas anderes, nimmt andere Stimmungen wahr, und erlebt diesen Weg anders. Manches nehmen beide ähnlich oder gleich wahr und spüren die Freude, verstanden oder bestätigt zu werden. Auf dem Weg nach innen ist es vielleicht ähnlich. Wir müssen auf dem Weg zu uns selbst durch die gleichen Gefühle hindurch, bis wir zu unserem wahren Kern und Sein kommen. Nur die Auslöser, Gegebenheiten, Umstände sind verschieden.
Ich kenne diesen Zorn auch. Wenn ich allein mit mir und der Natur bin, dann bin ich im Frieden, fühle mich stimmig und kann mir und dem Leben vertrauen. Was mich aus der Bahn wirft, sind Menschen mit ihrer Respektlosigkeit, ihrem Lärm, ihrer Brutalität etc. Ich fühle mich dann oft hilflos und ausgeliefert, was zu heftigem Zorn führt. Ich lerne und übe, damit umzugehen. Das Wichtigste war bisher, zu erkennen, dass Zorn oder Wut Ausdruck meiner Schöpferkraft ist, meiner Fähigkeit und meines Willens, etwas zu verändern, was nicht gut ist und dem Leben nicht dient. Früher hatte ich vor diesen Gefühlen Angst und wollte sie nicht zulassen, weil ich sie für schlecht und sündig hielt. Wenn ich jetzt zornig bin, atme ich bewusst und tief in meinen Körper und spüre dieses Gefühl und nehme es als mir innewohnende Kraft wahr, die mich erstaunt und mich demütig macht. Mir ist so viel Kraft anvertraut (vielleicht wie Dir der große Reisebus?) Und dann sage ich: “Genau so, mit dieser Wut liebe ich mich.” Aber ich brauche es auch, darüber mit einem Vertrauten zu reden und einen Weg zu finden, solchen Situationen vorzubeugen. Mir passiert es z.B. immer wieder, dass Leute die Einfahrt zum Parkplatz der Schule, in der ich unterrichte, zuparken. Aus verschiedenen Gründen kann ich aber nur dort auf dem Hof parken. Immer wieder werde ich übel beschimpft, wenn ich darum bitte, die Einfahrt frei zu machen. Ich habe Zeitdruck, denn ich muss pünktlich zum Unterricht kommen. Mir hilft es, nun immer eine Kamera dabei zu haben und zu wissen, ich kann das Fahrzeug fotografieren und die Polizei benachrichtigen. Die Einfahrt ist nämlich Feuerwehrzufahrtzone.
Ich könnte mir vorstellen, dass Dir die für Dich stimmigen Worte oder Reaktionen kommen werden, wenn Du einen Weg gefunden hast, mit Deinem Zorn “entspannt” zu bleiben. Dein inneres Kind ist kreativ. Wenn es keine Angst haben muss, wegen der Wut vom erwachsenen Matthias abgelehnt zu werden, könnte es unerwartete Ideen entfalten.
Ich habe vor Kurzem eine interessante Übung kennen gelernt. Sie nennt sich “emotionale Entladung”. Sie geht so: wenn Du spürst, dass eine Situation dich unangemessen stark emotional bewegt (oft ist es Zorn), dann könnte das ein “Päckchen” aus alten Gefühlen sein, die hochkommen und geheilt werden möchten. Nun brauchst Du einen Partner, Freund, Vertrauten. Er übernimmt die Aufgabe, mitfühlend und anteilnehmend zuzuhören. Er sagt selbst nichts. Aber er schaut wohlwollend und liebevoll und hört nur zu.
Du sprichst aus dem “Emotionsrucksack” eine vereinbarte Zeit (z.B. 10 Minuten) und sprichst alles, was Dir gerade kommt. Manchmal ist es kindliche Sprache. Alles ist erlaubt.
Wenn die Zeit um ist, spricht niemand mehr darüber. Es gibt keinen Rat, keine Meinung, nichst. Dadurch entsteht ein geschützter Raum, in dem auch unreife, sehr frühe Erfahrungen und Gedanken ausgesprochen werden, womit das erwachsene ICH sich nicht identifizieren würde.
Vielleicht ein Weg für Dich?
Ich wünsche Dir viel Freude auf Deinem neuen beruflichen Weg und auf Deinem weiteren Weg zu Dir selbst. Ich grüße Dich aus Schönfeld, Dorothea.
Lieber Matthias….Probier es einfach aus. Hau das raus, was Dir gerade einfällt. Ich erlebe den fehlenden Respekt auch täglich…und kontere einfach mit einem freundlichen “erst mal guten Tag…was kann ich für Sie tun”? Funktioniert meist. Und wenn wer dein Eigentum benutzt…machs einfach genau so….LG