Am Ende

Ich habe nicht darauf geachtet. Darauf, dass es sinnvoll sein könnte, auf die Ernährung genau zu achten. Und so habe ich es geschafft, mich selbst so weit zu schwächen, dass ich fast zu schwach für die letzten fünf Meilen war.
Es waren vier sehr harte Tage. Von der großen Ebene, von der aus ich den letzten Blogeintrag geschrieben habe, ging es weitgehend bergauf, was meine schwerste Übung ist. Dazu knallte die Sonne erbarmungslos vom blauen Himmel und schattige Stellen waren fast nicht mehr zu finden. Entsprechend groß ist der Wasserverbrauch, an einem Tag habe ich mehr als sieben Liter Wasser getrunken.
Und ich habe geschwitzt wie noch nie im Leben. Am Ende des ersten Tages hatte ich weiße Schweißränder quer über meinem Hemd. Und als ich am Abend am gewählten Ziel ankam und ein Wasserbecken zur Abkühlung entdeckte, warf ich mich mit allen Klamotten hinein, gleich dreimal hintereinander. Das T-Shirt wurde dadurch nicht wirklich sauber, ich dagegen ziemlich erfrischt.
Aber der folgende Tag wurde der Schlimmste. Rückschauend verstehe ich mich selbst nicht. Ich habe, seit ich auf dem Trail bin, fast keinen Appetit, auch kein Hungergefühl. Infolgedessen esse ich ziemlich wenig, kaum Kraftnahrung, weil mir schon beim Geruch das Essen vergeht. Aber die Folge, die ich nicht berücksichtigt habe, war, dass ich immer kraftloser wurde. Und das geht nicht, wenn man aus einer Höhe von etwa 1000 ft auf 8600 ft zu steigen hat. So wurde ich immer langsamer, meine Muskeln begannen zu schmerzen, meine Schweißausbrüche häuften sich und ich fühlte mich miserabel. Ich habe nicht ans Aufhören gedacht, eher ans Sterben. Und besonders von Nachteil ist, dass es fast nie Empfang beim Telefon gab, auch keine Orte, Straßen oder sonstige Zivilisation. Es war also unmöglich, ein Taxi zu rufen, eine Ambulanz o.ä. Was unter diesen Umständen passierte wäre, wenn ich gestürzt wäre, will ich mir gar nicht vorstellen.
Als ich nach 18 Meilen der Quälerei am Abend am Zeltplatz ankam, war ich derart entkräftet, dass ich zitterte und zunächst mein Zelt nicht aufbauen konnte. Ich brauchte etwa zehn Minuten, um wieder so weit zu Kräften zu kommen, es anzugehen. Ich traf dort Everett wieder, der zu mir meinte, ich sähe dünner aus. Er fragte mich, ob er etwas für mich tun könne, was ich aus falschem Stolz verneinte. Ich hätte gerne zu ihm gesagt: Nimm mich bitte in den Arm und halte mich ein bisschen! Aber ich habe mich nicht getraut, sonst hätte ich hemmungslos geheult, so fertig war ich. Er riet mir dringend zu Süßigkeiten und fühlte meinen Puls. Ein Ruhepuls von über 100, woraus dann ersichtlich wurde, dass er Arzt ist.
Nachdem das Zelt stand und das Abendessen verspeist war, musste ich zudem einsehen, dass mein Vorrat an Essen für die neue Erkenntnis (ich muss deutlich mehr essen…..) nicht ausreichend war. Ich hatte mangels Hunger und Appetit zu wenig eingekauft. Und an diesem Umstand ließ sich auch nichts ändern, denn der nächste Ort war noch über 40 Meilen weit entfernt. Und so wurde mir klar, dass der nächste Tag auch nicht besser werden würde und der danach folgende auch nicht. Und genauso war es auch.
Nach meinem Gefühl schleppte ich mich bergauf, bei Ebenen und bergab ging es leichter. Und entgegen meiner Erwartung schaffte ich wieder 22 Meilen, danach nochmals 14 Meilen. Und abends, als ich wusste, dass ich keine Meile mehr gehen konnte, erlebte ich wieder einmal die Magie des Trails. Aus einer Hikerbox eines Trail-Angels, die mitten in der Wildnis neben einem Sofa stand, entnahmen wir eine Kilopackung Nudeln und eine Dose Tomatensoße. Daraus machten wir zu fünft ein gemeinsames Abendessen, wodurch mir mein letztes Essen für den letzten Tag blieb. Gerettet!
Und so bin ich dann noch mit letzter Kraft bis zum Highway gekommen. Allein, dass ich auf den letzten Meilen wieder Empfang hatte und mit Michael telefonieren konnte, gab mir wieder etwas Kraft. Während ich mit ihm sprach, würgte ich mir mein letztes Essen rein: Kartoffelpüree! Ohne Appetit und danach mit einem so trockenen Gefühl im Mund, dass ich an die Grenzen meines Wasservorrates kam.
Aber dann wieder diese unglaubliche Magie. Ich wurde, zusammen mit einem berockten Hiker aus New York, von drei Frauen nach Big Bear mitgenommen. Und ehe sie uns am Hostel raus ließen, wurden wir ohne große Rückfragen zu einem Menü bei McDonalds eingeladen, sodass meine Reanimation bereits im Auto begann.
Und nun muss ich wieder etwas Neues lernen: Nämlich mich zum Essen zwingen und durch eine neue Struktur dafür sorgen, dass mir das nie wieder passiert. Den kleinen Matthias habe ich in diesen Tagen verloren, gar nicht mehr gespürt. Aber ich werde ihn wieder finden und besser für ihn sorgen – müssen!

Am Ende

3 Gedanken zu „Am Ende

  • 7. Mai 2017 um 15:04 Uhr
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    Warum hast Du keinen Traubenzucker dabei??? Der geht ggfs unmittelbar ins Blut! Und wiegt nicht viel!

    Antworten
  • 7. Mai 2017 um 15:02 Uhr
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    Ich vermute, ich habe gespürt, dass es Dir nicht so gut ging, was Du aus meiner WhatsAp vielleicht erkennen kannst. Bitte achte mehr auf Dich. Wer sich sportlich betätigt (und wandern mit Gepäck ist nun wirklich sportlich!), der muß für ausreichende Energie sorgen, dass er diesen Sport auch schafft! Sonst verstoffwechselst Du Deine Muskeln – und das ist, denke ich, das letzte, was Du gebrauchen kannst!
    Ich denke weiter an Dich, aber bitte Du ebenso!
    Irene

    Antworten
  • 7. Mai 2017 um 12:50 Uhr
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    Hallo Matthias!
    Wow, Deine letzten Tage waren ja fast Filmreif! Es tut mir leid aus Deinen Zeilen zu lesen, welch Strapaze Deine letzten Meilen mit sich gebracht haben. Und Du hast wieder viel gelernt! In dieser Wildnis können wohl auch kleine Fehler zu nachhaltigen und bedrohlichen Stürmen aufbrausen. Deine Schutzengel werden wohl in diesen Tagen vermehrt zu tun gehabt haben. Aber, sie waren bei Dir! Ich halte Dir beide Daumen und schicke Dir gedanklich Energie und Kraft! Und hol Dir dann doch mal eine Umarmung wenn Du sie brauchst – und das Weinen hätte Dir sicherlich gut getan! Jetzt umarme ich Dich!
    Roland

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