Heute habe ich mich von den Mitgliedern meines Chors in Würzburg verabschiedet. Ich hab dort, soweit ich weiß, seit 2009 mitgesungen und habe immer gern den hohen Anspruch mitgetragen und versucht, ihm zu genügen. An schöne Konzerte kann ich mich erinnern, an sehr bewegende Stücke, die wir gemeinsam gesungen haben. Und heute haben sie für mich gesungen. Es war ein irischer Segen, den wir immer zu Abschieden gesungen haben und der mich immer sehr berührt hat. Und eigentlich hatte ich sie bitten wollen, genau dieses Stück für mich zu singen, aber ich hatte mich nicht getraut. Nun bekam ich genau dies als Geschenk zum Abschied. Und wer es gern einmal hören möchte: Hier ist ein Link zu einem Youtube-Video.
Und dann standen wir bei Sekt und Gebäck zusammen und haben geplaudert, natürlich ging es oft um den Weg und den Aufbruch aus meinem alten Leben, der Gesprächsthema war. Mir wurden viele Fragen gestellt und ich erzählte ihnen gerne von allen Anspekten der Vorbereitung, meiner Planung und der Unklarheit bezüglich des weiteren Lebens. Ich habe über meine Klinikzeit gesprochen, über meine Ängste und ein bisschen auch über die Geschichte meines Lebens, wie ich es in Erinnerung habe. Ich brauchte dazu wenig Impulse von außen, ich habe mir eine Offenheit und Ehrlichkeit angewöhnt, die es mir erlaubt, dass ich (fast) ohne Hemmungen von mir erzählen kann.
Schon seit ein paar Tagen beschäftigt mich eine Fragestellung und der heutige Abend hat dazu noch weiteres Futter geliefert: Brauche ich die Fragen, damit ich das Gefühl habe, dass die fragende Person interessiert an mir ist? Oder bringe ich ungewollt ein Desinteresse zum Ausdruck, indem ich nicht frage? Woran erkenne ich es, dass ein Mensch an mir interessiert ist? Und wie bringe ich Interesse am Gegenüber spürbar zum Ausdruck? Könnte es nicht auch ein Geschenk sein, welches ich dem anderen entgegen bringe, indem ich von mir erzähle – ohne vorherige Fragen, ganz offen und ehrlich?
Durch die langen Wochen in der Klinik habe ich mit vielen Menschen gesprochen. Viele haben eine schwere Geschichte, die sie mit sich herumschleppen und es tut ihnen gut, darüber zu sprechen und sich dadurch zu erleichtern. Ich glaube, dass ich ein guter Zuhörer bin. Es scheint mir vernünftig, nicht zu allem einen Kommentar abgeben zu müssen, nicht überall geistreiche Bemerkungen einfließen zu lassen oder als Wichtigtuer ungefragt Tipps und Ratschläge zu erteilen. Ich lasse die Menschen reden und sie können frei entscheiden, was sie mir erzählen wollen. Und bin extrem vorsichtig mit Fragen. Würde ich etwas erfragen wollen, wie wüsste ich, dass ich dabei nicht in unerkannten Wunden bohre? Wann wäre es indiskret und schonungslos? Und wie könnte ich es von der billigen Neugier unterscheiden, die sich als Vorstufe zum Tratsch immer besonders anbietet?
Fragen können sehr einengend und penetrant sein, besondern wenn vor der wirklichen Beantwortung bereits mit einer weiteren Frage zusätzlicher Druck ausgeübt wird. Ich habe es immer als Ausdruck des Respekts erachtet, wenn ich die Menschen selbst entscheiden ließ, wann sie mir etwas mitteilen wollten. Ganz oft sage ich zu Menschen, denen es gerade sehr schlecht geht: Wenn Du reden willst, sprich mich an und ich höre Dir zu. Mein Interesse an anderen Menschen kommt darin zum Ausdruck, dass ich ihnen zuhöre, ihnen mein Ohr leihe, welches direkt mit dem Herzen und der Seele in Verbindung steht. Und wenn es mir einmal nicht gut geht und ich mit jemandem geredet habe, sage ich oft: Danke, dass Du mir Dein Ohr geliehen hast. Und dachte immer, dass das nicht missverstanden werden kann.
Wenn ich frisch verliebt bin, dann bin ich in der Regel so voll von Freude und Glück, dass ich unbedingt der ganzen Welt davon erzählen, mich mitteilen muss. Würde ich dann nichts sagen, sondern auf Fragen warten, wie wüsste mein Gegenüber, wonach er fragen sollte und ob es überhaupt etwas zu erfragen gibt? Ist es nicht völlig unrealistisch, in einer solchen Situation die Frage zu erwarten: Ja, bist Du denn vielleicht verliebt? Oder soll ich sagen: Rate mal, was bei mir los ist – nur damit ein paar Fragen kommen, aus denen ich dann das Interesse des Anderen an meiner Person herleiten kann?
Und wenn andere das ganz anders sehen? Wenn sie die fehlenden Fragen als Ausdruck nicht vorhandenen Interesses interpretieren? Vielleicht erscheint mein Verhalten in ihren Augen verachtenswert, weil sie von mir nichts wissen und mich nicht verstehen? Weil sie, anstatt nachzufragen, einfach etwas annehmen?
Heute bei der Verabschiedung im Chor habe ich das ehrliche Interesse an mir und meinem Weg gespürt, vielleicht auch ein wenig Bewunderung und etwas Neid. Die Fragen waren dafür gar nicht notwendig. Ich habe das Interesse mit dem Herzen gespürt und hoffe, dass es wie ein Geschenk empfunden wurde, dass ich so ehrlich und offen von mir erzählt habe. So möchte ich es auch in Zukunft handhaben.
Ich finde, wenn man genau hin spürt, ist es ,wurscht, ob man die Frage ausspricht oder das Interesse anderweitig signalisiert. Das Aussprechen der Frage ist doch nur ein ,Werkzeug, wer bewusst im jetzt ist, spürt echtes Interesse und auch Trost ohne Worte. Im Grunde hast du das in den letzten Sätzen Deines Beitrags selbst geschrieben. Am wichtigsten im ganzen miteinander ist doch der Respekt…. Liebe Gruesse und guten Flug morgen!
Warum ist es ein derartiger Drang gute, positive, glückliche Momente, Gefühle zu teilen – andererseits Probleme, Ängste, schlechte Gefühle nur gehemmt weitergegeben werden.
Wo ist der Unterschied bei diesen Empfindungen? Warum gehen uns Ängste so schwer von den Lippen? Warum können wir Glück kaum für uns behalten?
Wie erträglich ist Interesse? Halte ich die Angst und den Schmerz meiner Antwort aus?
Halte ich die Vorstellung aus, dass ich es bin, der Schmerz auslöst – und sei es nur durch eine Frage?
Ich könnte gesehen werden – so oder so. Halte ich das aus?
Halte ich mich selbst aus?
Auf dem Weg zum “Ja”.
Ich finde, erst durch die Frage wird mein Interesse am anderen deutlich. “Wenn Du mir erzählen willst, höre ich zu” ist ein bißchen wie: rede Dir ruhig alles von der Seele, aber warte nicht auf eine Reaktion von mir. Das verstehe ich nicht unter Interesse an jemandem oder an seinen Problemen. Wirklichen Schmerz wird eine Frage nur dann auslösen, wenn sie gleichgültig und lieblos gestellt ist oder in nicht akzeptable Tiefen geht.
Ich fühle mich ein wenig missverstanden. Meine Gedanken zielen nicht auf eine Entweder-Oder-Lösung. Es war kein Plädoyer gegen Fragen. Ich wehre mich nur gegen die einseitige Betrachtung, dass nur durch Fragen mein Interesse an einer anderen Person spürbar wird. Ich merke, wie vorsichtig ich mit Fragen bin und sprach heute einen Freund, dem es genauso geht. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie belästigend und bedrängend Fragen empfunden werden können, besonders wenn man nicht so gut gelernt hat, sich abzugrenzen und Nein zu sagen. Eben, wenn man nicht von sich reden möchte….
Und einem anderen Menschen zuzuhören, bedeutet nicht, dass man keine Reaktion von sich gibt. Gerade der Respekt vor dem Anderen, der von sich etwas erzählt, bringt es mit sich, dass wir miteinander in Kontakt und Austausch kommen – ganz behutsam und vorsichtig, wertschätzend und empathisch. Ich habe oft Menschen zugehört, die mir ihr Herz ausschütten. Oft wollten diese Menschen nur jemanden, der ihnen zuhört und definitiv niemanden, der zu allem etwas meint anmerken zu müssen oder auch noch Ratschläge erteilt.
Und wie merke ich eigentlich, wann eine Frage “in nicht akzeptable Tiefen” geht?