Das alte Leben

Manchmal scheint es durch in mein neues Leben: das alte Leben als Fotograf. Auffällig ist es besonders in meinen Träumen, in denen ich oft zurück in die Zeit gehe, als ich noch selbständig im Fotostudio gearbeitet habe. Es sind dann keine leichten Träume, vielmehr geht es meist um Aufträge, die noch nicht fertig sind, an denen ich noch etwas nachzuarbeiten habe und es den Anschein hat, dass ich es nicht mehr schaffen werde. Am schlimmsten ist es, wenn ich mich gar nicht erinnern kann, was noch zu machen ist oder wo die Aufnahmen zu machen sind. Und natürlich dann, wenn mir im Traum klar ist, wie unzufrieden die Kunden mit meinen Arbeiten sind!

Kürzlich handelte mein Traum von meiner Zeit bei König & Bauer. Auch dieser Zeitabschnitt meines Lebens kommt ziemlich regelmäßig vor. Diesmal kreisten die Gedanken um die Fachkamera, die ich vor über dreißig Jahren für die Firma anschaffen durfte. Im Traum bemühte ich mich um den Erwerb dieser Kamera, die sich, vorausgesetzt sie ist nicht längst verkauft worden, auf irgendeinem Dachboden befinden dürfte. Tatsächlich hat mich dieser Gedanke manchmal schon in der Realität beschäftigt, wenn ich an das Arbeiten mit dieser tollen Ausrüstung zurück denke, die ich später im Studio selbst besessen habe.

Wenn dann der Verstand wieder einsetzt, frage ich mich natürlich, ob ich noch ganz bei Trost bin. Abgesehen von dem Umstand, dass ich gar nicht mehr weiß, ob und wo es das Filmmaterial in ausreichenden Mengen zu kaufen gibt, habe ich auch keine Ahnung, wo die Entwicklung der Filme heute noch gemacht wird. Und wenn ich dann an die Chemikalien denke, deren Geruch an den Händen haftet und die Flecken auf der Kleidung verursachen, dann wird mir klar, dass ich das nicht mehr möchte. Die Gestaltung der Bilder und das ruhige Arbeiten mit einer solchen Ausrüstung war das Schönste überhaupt, an das ich zurück denken kann. Jedoch ist diese Zeit seit zwanzig Jahren eigentlich vorbei. Speziell für mich!

Trotzdem scheint in dieser Woche mein früheres Leben besonders stark durch. Seit Wochen beschäftigt mich nämlich der Gedanke, mich von meinem alten Rechner und dem guten Bildschirm zu trennen und alles zusammen mit der Kamera und den Blitzlampen endlich zu verkaufen. Ich brauche diese Dinge einfach nicht mehr! Hintergedanke ist dabei auch, dass ich mir den hoffentlich bald bevorstehenden Umzug dadurch deutlich erleichtern kann. Und so habe ich begonnen, alte Bilddaten zu löschen und die Festplatten neu zu formatieren. Beim Löschen der alten Auftragsarbeiten war es daher auch nicht zu vermeiden, wieder in die alten Zeiten einzutauchen. Es wurde mir dabei bewusst, dass es keine guten Zeiten gewesen waren und die Bilder auch keinen bleibenden Wert gehabt hatten. Es tat mir nicht gut, dass ich mich damit, wenn auch nur kurz, beschäftigt hatte und ich war froh, als ich alles gelöscht hatte und durch die Formatierung dafür gesorgt hatte, dass diese Bilder für immer verschwunden waren.

Nun bin ich an diesem Wochenende wieder mit einer Reisegruppe in Mailand. Hier findet zur Zeit eine Ausstellung mit Fotografien von Richard Avedon statt, einem sehr berühmten amerikanischen Fotograf. Und weil ich wenig Lust zum Shoppen habe, hatte ich mir vorgenommen, mir diese Ausstellung anzusehen. Es war ein komisches Gefühl, gleich zu Beginn vor dem großen Stapel an Ausstellungskatalogen zu stehen. In früheren Jahren hätte ich sicher einen davon gekauft und mit Stolz meiner Sammlung an Bildbänden hinzugefügt. Ich stand einige Zeit dort und betrachtete auch die anderen Bücher, die dort zum Verkauf angeboten wurden und kämpfte das Bedürfnis nieder, etwas davon zu kaufen. Danach habe ich mir viel Zeit für die Bilder genommen, die dort gezeigt wurden. Das nebenstehende Foto des jungen Bob Dylan hat mir besonders gut gefallen, speziell aufgrund des Schärfeverlaufs, der durch den Einsatz einer Fachkamera bedingt ist und deren Ränder auf dem Negativ zu sehen sind. Und ich dachte, wie schön und authentisch so ein Arbeiten ist, bei dem es keine Ausschnitte und digitale Nacharbeiten gibt. Bei meinen Aufnahmen in Canfranc habe ich versucht, genau so zu arbeiten, auch wenn ich die Ränder der Negative nicht mit vergrößert habe. Auch brachte die Auseinandersetzung mit den Bilder von Richard Avedon es mit sich, dass ich über meine eigene Art der Suche nach vermeintlicher Perfektion kritisch nachdachte und Lust bekam, es noch einmal zu versuchen, einen anderen Weg zu beschreiten.

Aber Gott sei Dank hielt dieser Zustand nicht lange an. Ich machte mir klar, was für ein Aufwand hinter allem stecken würde und mir wurde bewusst, dass es von meinen Bildern keine Ausstellungskataloge und auch keine Retrospektive geben würde. Zudem ließ mich auch der Gedanke nicht los, dass es keinen Grund gäbe, Aufnahmen zu machen, die niemand sehen wollen würde und die keine innere Botschaft haben würden. Es wäre eventuell nur die Befriedigung der eigenen Eitelkeit, nochmal zur Kamera zu greifen. Und das will ich nicht!

Beim Verlassen des Gebäudes merkte ich dann, dass da doch noch etwas war. Vielleicht war es die Inspiration durch die Ausstellung oder auch nur der Spaß am bewussten Sehen, der mich dann zum Telefon greifen ließ, um ein Foto zu machen. Und ich merkte den Wunsch nach einer Art Perfektion, mit der das Bild genau so werden würde, wie ich es mir gedacht hatte. Also rückte ich meine eigenen Füße aus dem Bild und nahm mir die notwendige Zeit, bis die entsprechend passende Person genau wie gewünscht durch das Bild lief und ich einigermaßen zufrieden mit dem Ergebnis war. Und der Einfluss der Ausstellung war so deutlich spürbar, dass ich das Foto gleich nach Schwarzweiß umwandelte, so wie ich es mir vorher gedacht hatte. Aber es ist doch ganz anders geworden, als es zu Zeiten des Films geworden wäre, zumindest kommt es mir bei den Halbtönen so vor. Die eigene Widersprüchlichkeit ist mir dabei sehr bewusst geworden!

Nun gut, jetzt fehlt nur noch, dass ich das Bild hier zeige, das ich gestern im Treppenhaus des Palazzo Reale gemacht habe:

Das alte Leben

2 Gedanken zu „Das alte Leben

  • 28. November 2022 um 11:57 Uhr
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    … ein eindruckvolles Bild und ein Blick in Deine Gedanken- und Gefühlswelt. Danke dafür Matthias!

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  • 27. November 2022 um 21:39 Uhr
    Permalink

    Du hast noch immer das Auge.
    Schön.
    Sehr schön!

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