Lust und Wehmut

Ja, so ist es bisweilen. Es kommen Gefühle auf, die auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen scheinen. Eine etwas verrückte Mischung aus zwei ganz unterschiedlichen Emotionen. Das habe ich gerade erlebt.

Ich erhielt am vergangenen Wochenende eine Mail von Mamie. Das ist die eine von den beiden jungen Frauen, die ich am Schluss meines PCT in Chester wiedergetroffen hatte und von denen es, zusammen mit mir, ein ganz witziges Foto gibt, das ich in meinem Beitrag unter „Vollbremsung“ gepostet habe. Mamie steht auf dem Bild rechts. Und sie berichtet in ihrer Mail davon, dass sie nach Ashland gelaufen sind und nun in südlicher Richtung zurück in die Sierra wandern, mit dem Ziel Kearsarge Pass, wo sie den Weg abbrochen hatten. Sie schreibt, dass der Schnee nun schnell schmilzt! Weiter schreibt sie: „It was so wonderful to have met you on the trail this year.“ Ist das nicht schön?

Neben der Freude über diesen Satz begann bei mir innerlich etwas zu gären. Ich brauchte ein bisschen Zeit, um einordnen zu können, was da gerade passiert war. Es war Wehmut, ein Gefühl des Bedauerns, dass die beiden Mädchen weiterhin auf dem PCT wandern, ich jedoch nicht mehr. Und ich spürte, dass ich Sehnsucht hatte: nach dem Schlafen im Zelt, nach der Stille der Natur, nach dem blauen Himmel und der Wärme, dem Gefühl, ausgepowert zu sein, nach schmerzenden Füßen und den vielen Menschen, die gleichfalls auf dem Weg sind. Ich merkte auch, dass meine Entscheidung vom Juni deshalb nicht falsch gewesen war, auch aus heutiger Sicht nicht. Und doch sehnte ich mich danach, wieder auf dem Weg zu sein. Vielleicht war auch ein bisschen Neid dabei, wenn ich an Mandy und Mamie dachte, und auch ein wenig Trauer.

Und als ich nachdachte, wie ich nun mit dieser Vielfalt an Emotionen umgehen könnte, erinnerte ich mich daran, dass hier in einem Wohngebiet in Wolfenbüttel ein Supermarkt bis 23 Uhr geöffnet hat. Ich machte mich zu Fuß auf – es sind nur circa tausend Meter – und ging einkaufen: ausschliesslich Produkte, die mich an die Zeit in den USA erinnern und die ich dort gegessen oder kennengelernt hatte.

Auf diese Weise war mein Abendessen sicherlich nicht vollwertig, aber voll von Erinnerungen an die guten Tage auf dem PCT. Das Beef Jerky schmeckt mir noch immer und das Naschen von Skittles schwankt immer noch zwischen Genuss und Überdruss vor so viel Zucker und künstlichen Geschmacksstoffen. Aber es musste sein und es war gut, damit den innerlichen Kontakt wieder hergestellt zu haben.

Natürlich habe ich Mamie geantwortet. Ich habe ihr berichtet, wie es mir geht, was ich so alles tue und anschiebe. Und natürlich schrieb ich über die schönen Dinge, die ich hier genieße und die Dinge, die ich vermisse. Ich schrieb über das Gefühl, hier willkommen zu sein, mich angenommen zu fühlen und brachte den Wunsch zum Ausdruck, dass ich ihr irgendwann in der Zukunft noch einmal begegnen möchte. Und dann würde ich die Kamera dabei haben, um von ihr Portraits zu machen, vornehmlich von ihren Augen. Denn ihre Augen waren für mich besonders eindrucksvoll, auch wenn das auf dem Foto vielleicht nicht so sichtbar ist. Und natürlich hat sie inzwischen wieder geschrieben und ich werde es auch wieder tun.

Und doch: Die Emails haben etwas bei mir ausgelöst. Ich bin Anfang der Woche zum Outdoorladen in Braunschweig gefahren, um mir ein neues Kochgeschirr zu kaufen, denn beim alten ist während des PCT – trotz sorgsamen Umgangs mit den Kunststofflöffeln – die Beschichtung unrettbar beschädigt worden. Heute habe ich es abholen können, es war nicht vorrätig. Es hat mir Freude gemacht, gleich noch eine Gaskartusche dazuzunehmen. Und es war mir ein Bedürfnis, es gleich abzuwaschen und sicher zu verpacken, geschützt gegen Kratzer und sonstige Beschädigungen: bereit für das nächste Abenteuer.

Auch habe ich in dieser Woche endlich den Schwung gehabt, mich dem etwas komplizierten Waschen des Schlafsacks zu stellen. Dieser enthält ja Daunen, die eine besondere Handhabung brauchen, ein besonderes Waschmittel (welches ich bereits seit vier Wochen hatte….) und weder geschleudert noch im warmen Trockner getrocknet werden sollen. Vor all diesen Dingen habe ich mich bislang gedrückt, nun wollte ich es schaffen. Und habe es geschafft. Der Schlafsack ist wieder richtig sauber, die Federn wieder sorgsam aufgebauscht und alles frei von Geruch, aber auch noch nicht ganz trocken. Das dauert eben seine Zeit, die ich dem Schlafsack gebe, indem ich ihn durch den Garten bewege, immer mit dem Wandern der Sonne. Und ich freue mich, dass ich ihn habe!

Heute habe ich zudem meine Wanderschuhe aus dem Paket geholt, in dem sie lagen, seit ich sie von Tehachapi aus nach Deutschland gesandt hatte. Wie ihr Euch sicher erinnert, waren sie zuletzt eine Quälerei für meine Füße gewesen, weil zu klein. Und ich war gespannt, wie sie nun sein würden, nachdem ich nun seit fünf Wochen nicht mehr wandere, es hier zudem auch nicht heiß ist und somit die Füße wieder auf die alte Größe reduziert sein sollten. Aber weit gefehlt! Diese guten Meindl-Schuhe werde ich nicht mehr tragen können. Ich werde sie vom Staub und Sand säubern und dann bei eBay zu versteigern versuchen. Das tat mir wieder ein bisschen weh, denn ich mochte sie gern und hatte, auch wenn das vielleicht komisch klingt, eine Beziehung zu ihnen. Denn irgendwie sind sie für mich mit dem PCT verbunden. Der Verkäufer im Outdoorladen schlug mir vor, doch gleich neue Schuhe zu kaufen. Daran hatte ich durchaus gedacht, würde dann sicherlich auch versuchen, die gleichen Schuhe in einer größeren Größe zu kaufen. Aber noch ist das nicht auf der Tagesordnung.

Obwohl….. ja ja, ich gebe es ja zu. Nach dem Erhalt der Mail von Mamie habe ich als Erstes im Internet nach Flügen in die USA geschaut. Ein wirrer Gedanke ging so: Ich schätze die Zeit ein, die die beiden jungen Frauen benötigen, um wieder nach Ashland zu kommen. Dort stoße ich dann dazu und wir hiken gemeinsam Richtung kanadischer Grenze…. Natürlich ist das Unsinn, völlig verrückt, es war aber auch ein schöner, motivierender Gedanke. Ich würde die beiden nämlich gerne wiedersehen! Gleichzeitig weiß ich Karin, die ich während des PCT mehrmals getroffen habe, mit dem Motorrad auf kleinen Straßen in Südfrankreich unterwegs. Und bei dem Wissen kommt wieder das Fernweh und die Lust auf, ebenfalls wieder unterwegs zu sein. Jetzt gerade geht das noch nicht, vielleicht in einer Woche oder zehn Tagen. Und dann erlebte ich mich des Nachts am Rechner sitzen, um mich über den Wanderweg „Vom Marienplatz zum Marcusplatz“ sachkundig zu machen: ein Weg, der 550 km lang ist, über die Alpen führt und mir wegen seiner geringen Länge, der vertrauten Gegend und den Übernachtungsmöglichkeiten schon fast zu einfach vorkam. Was sind schon, nach dem PCT, 1000 Höhenmeter! Obwohl er nicht so einfach ist, wie ich es mir zunächst dachte, teilweise ist wohl ziemlich zu klettern und ganz ungefährlich ist er wohl auch nicht. Aber ich kenne jemanden, der ihn beinahe gelaufen ist und der mir sicher ein bisschen mehr darüber erzählen wird.

Ich bin noch immer auf dem Weg, innerlich wie äußerlich. Nur habe ich gerade eine Pause eingelegt.

Lust und Wehmut

2 Gedanken zu „Lust und Wehmut

  • 23. Juli 2017 um 12:44 Uhr
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    Lieber Matthias, wenn Du doch in Gedanken immernoch so auf dem PCT bist…dann geh ihn doch jetzt weiter! Auf was wartest Du? LG, Inken

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  • 22. Juli 2017 um 0:34 Uhr
    Permalink

    hallo Matthias
    den weg über die alpen bin ich 2009 zur Vorbereitung auf den CDT gelaufen.allerdings nicht von hütte zu hütte sondern mit zelt .mir hat er damals gefallen.
    lg aus wü
    heiko

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