Werte

Ich mag Axel Hacke. Wer Axel Hacke ist? Achso, ja, nicht alle Menschen wissen das, obwohl das eher ein Mangel ist, jedenfalls nach meiner Ansicht. Axel Hacke schreibt nämlich jede Woche eine Kolumne in der süddeutschen Zeitung. Und ich mag an seinen Kolumnen, dass er den täglichen Unsinn unseres (zwischen)menschlichen Lebens sehr genau beobachtet und wortgewandt mit durchaus versöhnlicher und wertschätzender Ironie beschreibt, ohne zu verletzten. Am schönsten ist es, wenn er seine Kolumnen selbst vorliest. Und es gibt Mitschnitte seiner Auftritte, bei denen man sich mit dem Publikum gemeinschaftlich kaputt lachen kann.

Einer seiner Texte beschäftigt sich mit den von ihm heraus gearbeiteten „Archetypen menschlicher Existenz“, den Wegschmeißern und Behaltern. Seit ein paar Tagen beschäftigt mich dieser Text, er ist extrem witzig, besonders an der Stelle, wo er sich mit den noch immer in seinem Wäscheschrank befindlichen, olivgrünen Bundeswehr-Unterhosen aus den siebziger Jahren beschäftigt. Zitat: „…mit denen bekleidet ich in den siebziger Jahren den Warschauer Pakt abschreckte“. Aber neben dem ironischen Spaß beschäftigt er sich doch auch mit typischem Verhalten der Menschen. Und da komme ich ins Spiel.

Ich sehe mich eher als Wegschmeißer. Der Tod meiner Mutter vor 25 Jahren und die darauf folgenden Wochen der Bewältigung ihres Nachlasses haben mir die Auswüchse des Behaltens vor Augen geführt. Beim Entrümpeln fanden wir die abenteuerlichsten Dinge, unter anderem einen großen Reisekoffer, in dem sie alle Gardinen, die sie jemals irgendwo abgenommen hatte, aufgehoben hatte. Schon seit Jahren folge ich dem Gedanken, dass sich irgend eine „arme Sau“ einmal meinem Nachlass stellen muss und ich es ihm nicht so schwer machen muss. Also versuche ich, meinen Haushalt und meinen ganzen Besitz möglichst klein zu halten.

Heute in zwei Monaten werde ich die ersten Schritte auf dem PCT gehen und ich freue mich darauf. Bis dahin muss meine Wohnung leer sein und der Rest, den ich behalten will, eingelagert sein. Nun räume ich auf und muss entscheiden, was ich weiterhin behalten möchte und von was ich mich trennen kann. Und verstehe mich selbst nicht mehr wirklich. Warum fällt es mir manchmal so schwer, mich von Dingen zu trennen, warum zögere ich die Entscheidungen heraus und ringe mit ihnen?

Vor zwei Tagen habe ich mich von meinen Schallplatten getrennt. Ich habe sie nicht gezählt, es mögen vielleicht einhundertfünfzig Titel gewesen sein. Sie standen im untersten Regalbrett meines Raumteilers und waren ziemlich eingestaubt. Ich hatte sie seit Jahren kaum noch gehört, zumal der Plattenspieler nicht wirklich gut funktioniert. Die wichtigsten Stücke habe ich zudem längst auf CD. Warum aber fiel es mir dann auf einmal so schwer, dem Angebot, sie komplett abzugeben, mit einem guten Gefühl zuzustimmen?

Ähnlich ging es mir mit den Fotobüchern, die ich vor einer Woche verkauft habe. Es sind Bildbände von namhaften und guten Fotografen, sie haben einstmals viel Geld gekostet. Und sie waren für mich einmal wichtig, um meine eigene, fotografische Sehweise zu finden und ständig weiter zu entwickeln. Aber auch sie sind seit Jahren nicht mehr zur Hand genommen worden. Das letzte Mal, als ich sie in der Hand hatte, wollte ich den Raumteiler verschieben, was nur möglich war, indem ich alle Bücher heraus nahm. Aber nun, als ich sie ins Auto lud, merkte ich, dass es auch ein wenig schmerzte. Warum nur? Und nun geht es den anderen Büchern an den Kragen. Und schon wieder spüre ich diesen Widerstreit in mir, wenn es um die schwedischen Krimis geht, die ich schon bestimmt zehnmal gelesen habe. Oder Bücher von 2002 über Software, die es gar nicht mehr gibt, die aber makellos da stehen und die ins Altpapier zu geben mir so schwer fällt.

Ist es der Preis, den die Dinge einmal gekostet haben und von dem ich irrigerweise annehme, dass er noch immer gilt? Es tut mir weh, zu sehen, dass einst teure Sachen keinen Wert mehr haben, wenn sie bei Ebay eingestellt sind. Warum aber kann ich dieser Sehweise nicht den Gewinn an Freiheit und Leichtigkeit entgegenstellen, wo es doch gerade in meiner Situation genau darum geht? Welche alte Denkweise läuft da noch immer im Hintergrund? Und warum ist es bei den Platten und Büchern stärker als bei dem Grundstück in Brandenburg?

Ich verstehe mich nicht wirklich. Aber ich habe die Schallplatten für 150 € verkauft, gebe die Fotobücher gegen kleines Geld ab, habe die Ausstattung für Katzen an die Katzenhilfe gespendet und fahre viel Papier zum Wertstoffhof. Ich werde damit auch weiter machen, damit es nicht zuviel wird, was ich einlagern werde. Und ich hoffe, dass ich nicht irgendwann mit einem Gefühl eines großen Verlustes da stehen werde und meine heutigen Entscheidungen bedauere.

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