Im Wald

Ich bin allein im Wald. Entgegen aller Widrigkeiten bin ich doch tatsächlich noch einmal aufgebrochen, aber ich hatte schon nicht mehr daran geglaubt. Mein Zelt ist aufgebaut, alles ist organisiert und ich habe zu Abend gegessen. Nun liege ich in meinem Schlafsack, habe es warm und höre dem Plätschern des nahen Baches zu. Ich bin wieder allein.

Der Tag begann noch bei Dunkelheit, ich konnte nicht mehr schlafen, weil ich ja wusste, dass der Wecker klingeln würde. Aller möglicher Zeitdruck geisterte durch meine Träume, sodass an ausschlafen nicht zu denken war. Nach dem Duschen packte ich den Rucksack fertig und machte mich zur Bushaltestelle auf.

Dort fuhr der Bus pünktlich ab, angefüllt mit neun Hikern und vier weiteren Personen. Mir war so gar nicht nach reden, sodass ich in aller Ruhe die Landschaft betrachten konnte, während hinter mir zwei deutsche Wanderer eifrig miteinander sprachen. Es ist komisch, dass ich mit Landsleuten so gar nichts anfangen kann, ich finde sie irgendwie anstrengend und absonderlich. In diesem Fall der Mann, der überaus wichtig und kompetent wirken wollte, von allem etwas wusste und alles organisieren wollte. Schon das ungewollte Zuhören strengte mich an.

Mit ihm kam ich dann ins Gespräch, als der Bus uns an der Greyhound-Station ins Freie setzte, seine Endstation. Die meisten anderen Hiker waren am Flughafen ausgestiegen. Und er strengte mich wirklich an! Wir machten uns auf zum Busbahnhof, an dem wir einen weiteren Bus zu nehmen trachteten, von dessen Existenz er im Internet gelesen hatte. Während der Fahrt nach Reno habe ich nämlich meine Pläne überarbeitet und beschlossen, nach Chester CA zu fahre, um dort wieder auf den Trail zu kommen. Und so hatten wir das gleiche Ziel.

Und nachdem sich heraus gestellt hatte, dass der Bus am Dienstag gar nicht fährt, saßen wir mit zwei australischen Wanderern in der Wartehalle und waren etwas ratlos. Alle tippten auf ihren Telefonen herum, auf der Suche nach Alternativen oder weitergehenden Informationen. Als ich mich daran beteiligen wollte – schon ziemlich entnervt von meinem Landsmann – stellte ich fest, dass mein Telefon tot war. Eine halbe Stunde vorher war es noch gegangen.

Alle mir bekannten Tastenkombinationen halfen nichts. Auch der deutsche Kollege versuchte sein Glück – vergeblich! Und mein Stresspegel stieg dadurch sprunghaft an. Denn mal ganz abgesehen von Kommunikation und Blogschreiben: Ohne die GPS-gestützte Navigation laufe ich keinen PCT. Wie sollte ich den eventuell unter Schnee versteckten Weg jemals wiederfinden? Das würde nicht funktionieren und ich wäre dazu auch nicht bereit gewesen. Entnervt gingen wir erst mal etwas essen, jeder von uns hatte Hunger. Wir buchten einen Fahrdienst, der uns zu dem Hamburger-Restaurant brachte. Dort entspann sich die Diskussion, wie es weiter gehen könnte. Wir hatten daran gedacht, mit 40 Dollar pro Person den Fahrer zu beauftragen, uns bis Chester zu fahren, was so etwa 160 Meilen entfernt ist. Ich dagegen wusste, dass, wenn ich Hilfe in Sachen Telefon bekommen würde, dies nur in Reno möglich wäre. Ein Apple-Store war zwölf Meilen entfernt, allerdings in der Gegenrichtung unseres eigentlichen Ziels. Was also tun?

Wir trennten uns vor dem Restaurant, die drei Anderen hatten zwischenzeitlich eine Fahrerin mit großem Auto für sich, mir wurde durch den bisherigen Fahrer angeboten, mich zum Apple-Store zu bringen. Und eigentlich war ich ganz froh, die anderen Hiker loszuwerden, es hätte sowieso nicht gepasst.

Bei Apple wurde ich sehr freundlich empfangen und der Mitarbeiter nahm mein Telefon in die Hand, drückte die gleichen Tasten, die ich vorher auch gedrückt hatte, und das Telefon ging wieder! Unglaublich! Ich hatte bereits alle Dateien als verloren gesehen, Passwörter, Adressen, Telefonnummern, einfach alles. Dazu hatte ich mich bereits mit der Neuanschaffung eines Telefons abgefunden. Und nun lief es einfach wieder! Eine Mitarbeiterin machte noch einen Technik-Check, um sicher zu gehen, dass das Telefon weiterhin seinen Dienst tun würde. Alles in Ordnung.

Sehr erleichtert verließ ich den Laden, in dem der Fahrer mit mir gewartet hatte. Er bot mir an, mich gegen 100 Dollar nach Chester zu bringen, bar auf die Hand. Und nachdem ich zunächst dankend abgelehnt hatte, nahm ich sein Angebot doch an. Ich hätte ansonsten in Reno übernachten müssen und dafür morgen den Bus nehmen müssen. Dieser würde 42 Dollar kosten, dazu die Kosten fürs Motel. Ich würde also nicht günstiger wegkommen.

Also machten wir uns sofort auf den Weg. Und im Rahmen seiner undeutlichen Aussprache haben wir uns während der gut zweistündigen Autofahrt gut unterhalten. Er erzählte gern von sich und dem Land, in dem er lebt, ich berichte von meinem Weg. Und so verging die Zeit recht schnell und er setzte mich direkt an der Stelle ab, wo der PCT die Straße kreuzte, dann wünschte er mir mit einer Umarmung alles Gute und ließ mich allein. Und ich lud meinen Rucksack auf und machte mich auf den Weg, vier Meilen bis zu dem Platz, an dem ich jetzt bin.

Fast hätte ich heute aufgegeben, da hat nicht viel gefehlt. Der Ärger mit dem Telefon brachte mich an eine Grenze des Erträglichen. Und die Perspektive des stadtnahen Flughafens mit direkter Verbindung nach Vancouver war auf einmal sehr reizvoll. Aber ich habe widerstanden, bin sofort losmarschiert, damit es kein Schwanken und keine Zweifel gibt. Und jetzt muss ich sehen, dass ich den Faden wiederfinde, den ich verloren habe.

Im Wald

4 Gedanken zu „Im Wald

  • 18. Juni 2017 um 17:31 Uhr
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    Lieber Matthias…ein paar Tage zu spät, SORRY!!!!!…aber gaaaaaaaaaaaaaanz herzliche Glückwünsche zum Geburtstag nachträglich. War im Urlaub und hatte ein paar Tage den PC nicht an, daher hab ich es verpeilt. Hoffe, es geht Dir gut. Alles Liebe, Bussi, Inken

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  • 15. Juni 2017 um 20:52 Uhr
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    Schnell noch meine besten Geburtstagswünsche – Du hattest ja schon Gestern – ist mir aber durchgerutscht! Also, bleib gesund und dazu wünsche ich Dir viel Kraft auf Deinem weiteren Weg – Gruß
    Roland

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  • 14. Juni 2017 um 23:34 Uhr
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    Hallo Matthias,
    was lese ich da, du hast heute Geburtstag. Da wünsche ich dir alle Gute vorallem Gesundheit und das du immer wieder den Mut findest, weiter auf „deinem“ Weg zu gehen. Sei ganz herzlich von uns allen umarmt. Da werde ich doch gleich noch ein „Bierchen“ auf dich anstossen.
    Gruss Thomas

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  • 14. Juni 2017 um 18:10 Uhr
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    Lieber Matthias,
    Ich finde es wirklich gut, wie du das wieder in den Griff bekommen hast. Es ist wieder ein Erfolg auf deinem Weg … und das auch noch an deinem Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch, starte mit Mut auf deinen Weg Teil 2.

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