Es ist fast auf den Tag genau neun Jahre her, dass ich auf meiner Wanderung in Santiago eintraf. Nun bin ich heute zum zweiten Mal mit einer Reisegruppe und dem Bus hier. Und es ist doch jedes Mal wieder anders. Meine Stimmung ist von den Tagen davor geprägt und bezieht sich auf die Erlebnisse der Fahrt.
Heute war ich mit dem regionalen Stadtführer und meiner Gruppe in der Innenstadt unterwegs. Vor einer Woche, mit der ersten Gruppe, hatte ich das ausgelassen, weil es heftig regnete und ich nichts gegen Regen dabei hatte. Außerdem ist es ja auch mein freier Tag, woraus ich mir das Recht ableite, einmal nichts zu tun, was mit Arbeit zu tun hat. Andererseits freuen sich meine Gäste, wenn sie Begleitung haben und ich glaube darin zu spüren, dass sie mich mögen und mein Engagement wertschätzen. Ich habe ihnen auch schon einiges von meinen Erlebnissen und Erfahrungen vom Camino erzählt und werde immer wieder nach neuen Berichten gefragt.
Und so kamen wir heute im Rahmen der Stadtführung auf den Platz vor der Kathedrale, wo sich wie immer viele Menschen trafen. Fahradfahrer und Wanderer, aber eben auch Touristengruppen wie die unsere. In der Mitte des Platzes sammelten sich vor allem die Pilger, die heute eingetroffen waren, und machen Gruppenfotos und Selfies vor der Fassade der Kirche. Ich musste immer wieder zu ihnen hinsehen. Und eine Frau aus unserer Reisegruppe fragte mich, wie ich mich fühlen würde. Und ohne, dass ich groß darüber nachgedacht hätte, sagte ich ihr: „Ich gehöre eher dort hin, als hier her“. Und zeigte auf die glücklichen Pilger in der Mitte des Platzes.
Ich merkte die beginnenden feuchten Augen und wusste genau, dass da noch etwas ist, dem ich mich stellen muss. Was ist es, was mich zu diesen Menschen hinzieht? Was mich eine innere Verbundenheit spüren lässt, die ich nicht verstehe? Ganz sicher ist es nicht der religiöse oder rituelle Überbau des Pilgerwegs, der mich eher abstoßen und unwillig werden ließe. Es ist vielleicht das Gefühl, dass wir im übertragenen Sinn im gleichen Boot sitzen und alle auf der Suche sind, jeder auf seinem ganz eigenen Weg. Vielleicht ist es das sichtbare Eingeständnis des „auf der Suche sein“, das sich durch die Wanderung auf dem Camino ausdrückt, was uns verbindet und mich rührt.
Vielleicht ist es aber auch nur das überbordende Glücksgefühl, das sie fühlen und daher zum Ausdruck bringen können? Mir ging es vor neun Jahren nicht so, ich hätte es auch mit niemandem teilen können. Dann wäre, was mich zu ihnen zieht, der innerer Druck, mir endlich zuzugestehen, mich auch in glücklichen Momenten mitzuteilen, vielleicht auch in dem Bestreben, teilzuhaben und/oder etwas zu lernen. Glück zulassen, wenn es mir begegnet und es auszudrücken – ein steiniges Stück meines Weges.
Der Weg ist das Ziel…. schon tausendmal gehört, aber hier von dir schön beschrieben! lg doris
Ich denke über den „religiösen Überbau“ nach. Ist so ein Überbau eigentlich so wichtig, dass er Unwilligkeit entstehen lässt und ist es nicht viel sinnvoller, sich persönlich von diesem Überbau zu lösen und eine eigene religiöse Position zu finden, eine Position, bei der es wieder um den Menschen geht, um das Glück, die Zufriedenheit und um die Frage nach den eigenen Fähigkeiten und der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, einer Gemeinde von z.B. Pilgernden oder Reisenden? Die Metapher des Bootes ist eine Metapher, die auch in einem Kirchenlied verwendet wird: „Ein Schiff das sich Gemeinde nenne …“
Dann verliert Religion möglicherweise seinen überbordenden Anspruch und kann das sein, was es nach meiner Auffassung schon immer sein sollte, ein Leitfaden für die Menschlichkeit und eine Hilfe auf der Suche nach dem ganz persönlichen Lebenssinn/Lebensweg. Religion und unterwegs sein, das scheint doch irgendwie untrennbar zu sein, ganz ohne den „Überbau“.
Siehst Du Matthias…Du gehst deinen eigenen Weg immer weiter…stolz und viel Kraft und Power im Hintergrund…Du machst das schon :-). Bussi, Inken