Voller Zorn ganz rot im Gesicht, mit Tränen der Wut in den Augen funkelt er mich an, stampft mit dem Fuß auf und schreit: „Ich bin nicht bedürftig!“ So stelle ich ihn mir vor. Er ist irgendwie ein versteckter Teil von mir, und ich könnte nicht sagen, ob es mehr der kleine Matthias ist, der seine Enttäuschung heraus schreit, oder eher der große. Schon allein das Wort erzeugt in mir Widerspruch und Auflehnung.
Nun bin ich durch das gebrochene Wadenbein extrem eingeschränkt in meiner Beweglichkeit. In den ersten Tagen, als ich noch die Fortbewegung auf Krücken übte, bekam ich überall Muskelkater: vor allem in den Arm- und Brustmuskeln von der Anstrengung der Fortbewegung, aber auch im gesunden Bein vom Ausbalancieren des fragilen Gleichgewichts, bis ich Krämpfe in der Pobacke bekam. Aber auch das Bein mit der Orthese ständig angewinkelt hochzuhalten führt zu ungewohnten Schmerzen in den entsprechenden Muskelpartien.
Gleichzeitig merkte ich auf einmal, wie viele Verrichtungen, die ich sonst automatisch und ohne nachzudenken erledige, auf einmal nicht mehr oder nicht mehr so einfach gehen. Allein das Stehen in der Küche beim Kochen strengt extrem an. Will ich dann mein Essen zum Esstisch bringen, mache ich das nun hüpfend, da ich mit den Krücken keinen Teller tragen kann. Die Bettdecke aufzuschütteln setzt ebenfalls ein solides Gleichgewicht voraus, das ich derzeit kaum aufbringe. Und wenn ich einen Außentermin wahrnehmen will, muss ich sehr genau überlegen, wie ich hin und wieder zurück komme.
Und so muss ich auf einmal zwangsweise zu akzeptieren lernen, dass ich hilfs-bedürftig bin. Das ist eine besondere Herausforderung. Ich merke, wie schwer es mir fällt, Hilfe anzunehmen, die mir angeboten wird. Dabei bin ich für alles sehr dankbar, was Andere für mich tun, vor allem die Erledigung der Einkäufe, die ich nicht selbst schaffen kann. Noch schwerer fällt es mir, um Hilfe zu bitten. Vor ein paar Tagen bin ich in der Garage gestürzt. Es erschien mir nicht zumutbar, jemanden zu bitten, meinen Müll in die entsprechenden Tonnen zu werfen. Das hätte auch schlimm ausgehen können. Aber ich bin ja nicht bedürftig….
Nun beschäftigt es mich, welche verschrobenen Gedanken und alten Erfahrungen für diese Einstellung verantwortlich sind. Mir scheint, dass es vor allem mit Vertrauen und einem Gefühl für den eigenen Wert als Person zusammenhängen könnte. Beides habe ich als Kind nicht erfahren. Dazu kommt noch das unbedingte Bedürfnis, nicht von Anderen abhängig zu sein. Jedoch kann ich mich ja nicht ein Leben lang darauf ausruhen, dass es damals so war. Aber wie lerne ich es, das starke Unbehagen abzulegen, wenn es darum geht, einen andere Person um Hilfe zu bitten? Warum bleibt immer das Gefühl zurück, für eine angenommene Hilfeleistung bezahlen zu wollen, sei es mittels einem Geschenk oder tatsächlich mit Geld? Warum erlebe ich es als erleichternd, wie für eine Dienstleistung zu bezahlen?
Eine Hilfeleistung abzulehnen, wenn sie von mir erbeten wird, erzeugt stets ein schlechtes Gewissen. Ich helfe gerne und bin zuvorkommend, sowohl privat als auch im Beruf. Das tue ich wie selbstvertsändlich und freue mich, wenn jemand sich bedankt. Gleichzeitig kann ich selbst Gleiches nur schwer annehmen.
Durch den Beinbruch habe ich nun eine echte Herausforderung und ganz viel zu lernen!
