Als Jugendlicher war ich von der Eisenbahn fasziniert. Viele abendliche Ausflüge mit dem Fahrrad gingen an die Gleise der Fernbahn, die damals mit wenigen Verbindungen die Stadt Berlin mit dem Bundesgebiet verband. Und ich blieb gerne länger an der Strecke, stets in der Hoffnung, wenigstens einen Zug zu sehen. Es hatte ganz stark mit Verreisen und Fernweh zu tun, mit dem Gefühl, dass es in der Ferne besser sein könnte als hier, zumindest aufregender und spannnender. In den Folgejahren bin ich wohl ziemlich vielen Menschen auf die Nerven gegangen, weil es nicht mehr so viele andere Themen gab, über die ich sprechen wollte.
Aus dieser Faszination wurde ein echtes Interesse an alten Schienenfahrzeugen. Mit einem Freund aus der Schulzeit war ich mindestens einmal im Jahr für vier Wochen mit der Eisenbahn unterwegs. Mit entsprechenden Informationen versorgt, folgten wir historischen Loks und fuhren quer durch Deutschland auf der Suche nach noch unbekannten Fahrzeugen, um sie zu fotografieren. Aus dieser Beschäftigung ließ sich eine Begeisterung für Fotografie und eine gestalterische Begabung ableiten, die letztendlich auch zu meiner Berufswahl als Fotograf führte, auch wenn mir heute die Eisenbahnfotos von damals sowohl technisch als auch gestalterisch ziemlich erbärmlich erscheinen. Meine fotografische Arbeit über den Internationalen Bahnhof von Canfranc sehe ich ebenfalls in dieser Kontinuität. Und noch heute suche ich mit den Augen den Zug, wenn ich das typische Geräusch höre und kann meinen Blick nicht abwenden, wenn ich einen Zug fahren sehe.
Allerdings geht es mir heute mehr um den „Zug meines Lebens“. Schon früher habe ich diese Bild verwendet, um mich mit Veränderungen in meinem Leben auseinander zu setzen. Ich hatte das Gefühl, auf einer alten, heruntergekommenen und nicht mehr benutzten Strecke ins Nirgendwo zu fahren. Manchmal führte diese Strecke durch eine leere Wüste. Zeitweise ging es direkt auf einen Prellbock zu, mit der Aussicht, langsam zu einem alles erstickenden Stillstand zu kommen. Und manchmal führte das Gleis auch auf einen Abgrund zu, und der Absturz ins Bodenlose war dabei garantiert. Zu meiner Überraschung gab es dann immer wieder eine Weiche, über die zu fahren doch noch einen anderen Weg ermöglichte. Oft haben meine Freunde den entsprechenden Schalthebel umgelegt und das Verlassen des bereits eingeschlagenen Weges initiiert.
Heute geht es wieder um eine Weiche. Mein Zug zuckelte gemächlich auf der geraden und relativ trostlosen Strecke des Hartz IV-Bezugs, und es ging mir sehr auf die Nerven, dass ich nicht viel zur Beschleunigung tun konnte. Ich wusste ja diesmal, dass es eine Abzweigung geben würde, jedoch nicht, wann ich sie erreichen würde. Als ich die Möglichkeit bekam, die Umschulung zum Busfahrer zu beginnen, konnte es mir gar nicht schnell genug gehen. Mit meiner guten Merkfähigkeit und dem Interesse an der Sache lernte ich schnell das nötige Wissen für die IHK-Prüfung, parallel dazu auch die Fahrschultheorie, und machte beide Prüfungen innerhalb einer Woche. Und es fiel mir leicht. Vor einer Woche habe ich nun auch die praktische Prüfung bestanden, im ersten Anlauf. Und ich merke immer wieder, dass es mir Freude macht, einen Bus zu fahren.
Gleichzeitig habe ich mich bemüht, eine interessante und zu mir passende Stelle zu finden. Mir war klar, dass ich nicht als Stadtbusfahrer arbeiten wollte. Das Fernweh und die Sehnsucht nach Weite ließen eigentlich nur den Reisebusfahrer zu. Folglich habe ich mir entsprechende Stellen ausgesucht und fleißig Bewerbungen geschrieben. Sogar ein neues Bewerbungsfoto konnte ich vorweisen, welches in der Zusammenarbeit mit meinem Freund Michael nach meinen Wünschen entstanden ist und mit dem ich sehr zufrieden bin. Und hatte dank dieser Bemühungen vier Vorstellungstermine, die ich am letzten Wochenende zu einer Tour zusammenstellen konnte.
Natürlich hatte ich bei diesen vier Betrieben einen heimlichen Favoriten. Es ist eine etwas größere Firma, die mir besonders durch ihre Professionalität auffiel, die sich in der Reiseplanung, der Ausstattung und dem Webauftritt äußert. Und durch diesen Anspruch schien es zumindest zweifelhaft, ob sie sich auf einen Fahranfänger würden einlassen wollen. Aber das Gespräch war sehr entspannt und in einem freundlichen Rahmen, der es mir möglich machte, nicht allzu angespannt zu sein. Auf Augenhöhe eben. Und ich hatte dabei das gute und beruhigende Gefühl, am richtigen Platz zu sein.
Im Gespräch regte der Betriebsleiter eine Probefahrt auf einem ihrer Busse an. Erst zuckte ich innerlich zusammen und begann zu schlottern angesichts dieser plötzlichen Herausforderung. Dann beschloß ich, dass ich, bewaffnet mit einem bestandenen Führerschein, mich eigentlich nicht fürchten müsste. Ich schaffte es, die Angst in die Schranken zu verweisen und setzte mich ans Steuer eines mir völlig unbekannten Busses, der länger als der Fahrschulbus war, dazu dreiachsig und mit deutlich anderer Antriebstechnik. Und ich fuhr los, entsprechend den Weisungen des Betriebsleiter nach rechts oder links folgend, bis wir wieder, nach etwa zwanzig Minuten, auf den Betriebshof zurückgekehrt waren. Und ich bekam das Lob, dass ich „für einen Fahranfänger gut fahren würde, eigentlich sogar sehr gut“, zumal ich, auch das wurde positiv bemerkt, keinen Bordstein touchiert hatte. Und wir verblieben so, dass wir beide einmal darüber nachdenken würden, ob wir uns eine Zusammenarbeit vorstellen könnten.
Ich konnte es, das wußte ich gleich, auch wenn noch ein Termin zu einer weiteren Vorstellung ausstand. Aber die Zweifel blieben auch, ob mich die Firma würde haben wollen, angesichts der Ausstrahlung in Sachen Professionalität. Und dann wurde ich ziemlich überrascht. Am nächsten Tag erhielt ich bereits am Vormittag per Mail die Zusage für diese Tätigkeit. In einer merkwürdigen Mischung verschiedener Emotionen fuhr ich die restlichen Kilometer nach Hause und schrieb, etwas zitternd, meine Antwort, indem ich meine Freude ausdrückte und das Angebot annahm.
Nun habe ich wieder eine feste Arbeit, sobald ich die letzte Prüfung für den Betrieb eines Busses mit Anhänger bestanden habe und die Weiterbildungsmaßnahme damit endet. Der Prüfungstermin ist am 17. April und bereits in der Folgewoche könnte ich an meinem neuen Arbeitsplatz beginnen. Und verlege damit meinen Lebensmittelpunkt erneut, diesmal nach Baden-Württemberg. Ich werde in Rottweil arbeiten und möglichst bald auch wieder eine eigene Wohnung beziehen. Bis dahin stellt mir mein Arbeitgeber gegen kleines Geld ein Appartement zur Verfügung. Und ich werde wieder mein eigenes Geld verdienen, welches ich als angestellter Fotograf in dieser Höhe nur noch mit Mühe hätte erreichen können.
Es geht also wieder um eine Weiche. Und diesmal habe ich sie selbst betätigt. Mit einem Ziel vor Augen, das mir so lange gefehlt hatte, habe ich mich auf die Realisation gestürzt und dabei stets mein Bestes gegeben. Gleichzeitig habe ich mir erlaubt, mir einen guten und interessanten Betrieb als Arbeitgeber zu wünschen und mich dort bestmöglich präsentiert. Und habe gespürt, dass ich am richtigen Platz bin: dort, wohin ich gerne möchte. Und alles hat sich so gefügt, als sollte es so sein. Ich spüre nun eine Freude über das Erreichte und eine große Vorfreude auf die Zukunft, die ich selbst gestalten kann und wozu ich wieder ausdrücklich Lust habe. Passend dazu fand ich vor einiger Zeit den folgenden Spruch im Internet:
Auf Veränderungen zu hoffen, ohne selbst etwas dafür zu tun, ist wie am Bahnhof zu stehen und auf ein Schiff zu warten !!
Abgesehen vom Bahnhofsmotiv, das zu mir und meiner Vergangenheit zu passen scheint, bin ich froh darüber, nicht auf das Schiff gewartet zu haben. Ich habe gemäß meiner Wünsche und Ziele gehandelt, die dafür notwendige Weiche neu gestellt und fahre nun auf einem Gleis, das zu erreichen ich mir vorgenommen habe. Und bin, neben der großen Freude über das Erreichte, ziemlich stolz, das selbst erreicht zu haben.
Ich freue mich ebenso wie Deine anderen Freunde über die neue Fahrbahn, zu der Du übergewechselt bist! Es ist für mich ein Glücksgefühl, Dich so zielgerichtet und zufrieden zu erleben! Einfach toll!!
Freue mich auch auf weitere Skype-Gespräche
Alles Liebe – Roland
Ich gratuliere zum Bus-Führerschein und vor allem zur neuen Arbeitsstelle. Reisebus-Fahrer sind gesucht! Ich habe Verwandtschaft in VS. Der Verwandte (längst Rentner) fährt ab und zu für einen befreundeten Busunternehmer noch Reisebus, weil der auf dem Arbeitsmarkt keine Fahrer bekommt.
Was soll ich sagen:
wieder ist Ostern, wieder ist ein Neubeginn.
Auch wenn Du die biblischen Motive in der Regel skeptisch betrachtest, muss ich doch mal festhalten, dass ich Dich letztes Jahr am Karfreitag nach Frankfurt zum Flughafen gefahren habe, zum Aufbruch in ein anderes und angestrebt neues Leben.
Und jetzt, ein Jahr später, wieder in der Karwoche, der nächste große Umbruch, Aufbruch, Neubeginn in ein neues Leben.
Ich freu mich sehr für Dich. Es war eine weite Strecke, die Du zurück gelegt hast, Du warst mutig und es wurde am Ende belohnt. Das ist toll!!!!
Liebe Grüße aus dem sonigen Würzburg.
Armin