Das innere Beben ist noch nicht ganz abgeklungen. Irgendwie stehe ich noch immer unter einer Art Schock. Geschockt von einer Erkenntnis einer Verwandschaft, von einer ähnlichen Geschichte und verwandten Gefühlen. Und gleichzeitig überrascht und überwältigt von den Emotionen in mir, die ich nicht erwartet habe und mir nicht vorstellen konnte.
Ich war heute Abend in der Oper. Im Rahmen meines Besuchs in Berlin ermöglichte mir meine Schwester durch ihre Tätigkeit als Sängerin im Chor der Deutschen Oper, an eine sehr günstige Karte heran zu kommen. Ich wäre sicherlich nicht in jede Vorstellung gegangen, aber es gab den „Fliegenden Holländer“ von Richard Wagner. Diese Oper hatte ich als Jugendlicher einmal gehört, aber das ist so lange her, dass meine Erinnerungen ziemlich verblasst sind und mir die Geschichte weitgehend entfallen war. Ich wollte sie längst mal wieder hören, und so traf es sich perfekt, dass die Aufführung auf den heutigen Samstag fiel und noch nicht ausverkauft war.
So saß ich im ersten Rang, in meinen viel zu warmen, fürs Motorradfahren geeigneten Klamotten, inmitten vieler Menschen und wartete auf den ersten Ton. Es geht mir oft so, dass ich mit besonderer Anspannung auf diesen ersten Ton warte, es ist ein ganz besonders emotionaler Moment. Heute war der erste Ton dann doch nicht so aufregend, zumal ich die Ouvertüre ziemlich gut kenne. Aber die sparsame Inszenierung nahm mich sofort gefangen, die düstere Stimmung, der Nebel und das Wasser passten gut zu meinen Erwartungen. Und natürlich hatte ich – zur angemessenen Vorbereitung – die Geschichte bei Wikipedia nachgelesen.
Und dann erwischte es mich bei der Szene, in der Senta die Ballade über den Holländer sang. Sie erzählt darin seine Geschichte und bringt dabei, intensiv durch die Musik unterstützt, ein solches Mitgefühl mit seinem Schicksal zum Ausdruck, dass ich derart bewegt war, dass ich gerne geweint hätte. Es geht dabei um die Erlösung von einem Fluch, zu der ihm nur die unbedingte Treue einer Frau verhelfen kann.
Nun bin ich weder Seemann, noch Holländer, und eine Senta kenne ich auch nicht. Und doch erkannte ich in diesem Augenblick in dem dunklen Saal eine Parallele, eine Verwandtschaft mit dem Holländer. Es ist dieser unbändige Wunsch, die verzweifelte Hoffnung auf die „Erlösung“. Der Fokus meiner diesbezüglichen Sehnsucht richtet sich auf das Ankommen, wie ich es in Ermangelung eines besseren Ausdrucks immer nenne. Nie mehr getrieben sein, nicht mehr auf der Flucht sein, seine innere Ruhe und die eigene Mitte finden – all das und vieles andere mehr ist für mich mit dem „Ankommen“ verbunden. Ich habe ja hier auch schon öfters darüber geschrieben. Mir ist klar, dass eine Erlösung nicht, wie in der Oper, durch einen anderen Menschen erfolgen kann. Eine solche Erwartung an eine Partnerschaft muss ja den Andern zwangsläufig grenzenlos überfordern. Und doch bleibt dieser heftige Wunsch bestehen, befreit zu werden von etwas, was ich als quälend erlebe.
Und gleichzeitig machte mich das Mitgefühl fertig, welches diese Senta zum Ausdruck brachte, ohne die Person des Holländers bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt zu kennen. Ich merkte, dass das irgend etwas mit mir zu tun hatte. Mit dem kleinen Matthias. Mitgefühl mit einem kleinen Jungen, der ein wenig gutes Schicksal hatte und sich nach Erlösung sehnt – und ich bin die einzige Person, durch die er sie bekommen kann: durch meine unbedingte Treue zu ihm und indem ich bereit bin, zu ihm zu stehen, immer und um jeden Preis. Und da werde ich der Figur der Senta ähnlich. Diese Erkenntnis beutelt mich noch immer.
Kultur bildet. Aber so habe ich es noch nie erlebt. Und es ist dann wohl auch nicht nur Zufall gewesen, dass ich heute gerade in dieser Aufführung saß. Senta hat übrigens toll gesungen und zu Recht einen sensationellen Applaus erhalten. Und für mich war es ein fantastisches Erlebnis, weit über die Musik hinaus.
…und er kann Dir vertrauen.
Er spürt, Du bist jetzt für ihn da, spürt Deine Stärke, weiß, dass Empfindsamkeit, Offenheit, Vertrauen und unperfekt sein nichts mehr mit existentieller Bedrohung zu tun hat, sondern eine Geschenkdose voller lebendiger Wunder ist. Neugierig wie mutig traut er sich, fast blind hineinzutasten. Es wird ihm nichts geschehen, denn er weiß um Dein großes Herz und Deine Liebe zu ihm, die ihn mehr und mehr einlädt, sich einfach sein zu lassen.
Noch kullern Deine Tränen vielleicht über fremde Wangen – gönn‘ es uns so lange einfach von Herzen 😉
…uns ich muss mir jetzt unbedingt ganz dringend die Arie von Senta anhören 🙂
Freue mich für Dich, einen so schönen Abend gehabt zu haben!!!