Sie kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Ihr glattes, langes Haar umrahmte das schmale Gesicht. Eine dunkle, gefütterte Jacke verhüllte ihren Körper, die hellen Jeans ließen auf schlanke Beine schließen, deren Waden aufgrund der kühlen Jahreszeit mit gehäkelten (oder gestrickten…?) Schienbeinwärmern auf Temperatur gehalten wurden. Ihre Füße steckten in schwarzen Turnschuhen und in ihrer rechten Hand hielt sie einen Pappbecher, in dem ich einen Kaffee aus der Cafeteria des Flughafens ahnte.
Sie kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zu, bis sie vielleicht eineinhalb Meter Abstand erreicht hatte. Und ich sah ihr strahlendes Lächeln, glaubte ein Leuchten der freudigen Erwartung in ihren Augen zu sehen und einen Mund, der nach intensivem Küssen verlangte. Ich zuckte etwas zusammen, konnte ja eigentlich nicht wirklich gemeint sein und fühlte in Gedanken auch schon als Folge der heftigen Umarmung den heißen Kaffee in meinem Rücken. Und als ich folgerichtig auswich und mich abwandte, ging so etwas wie eine Enttäuschung über ihr Gesicht, das Strahlen ließ nach. Sie ließ die Arme sinken, drehte sich langsam um, zurück zu ihren Begleiterinnen zu gehen, die noch am Kassenautomaten standen.
Diese kurze Begegnung hat gestern stattgefunden, als ich auf dem EuroAirport Basel auf meine Gäste wartete. Ich hatte meine Dienstkleidung an, darüber einen grauen Pullover und eine Jacke, in der Hand hatte ich die Unterlagen meiner Tour und das gelbe Hauser-Schild, das als Erkennungzeichen für die ankommenden Reisenden gedacht ist. Sie konnte mich also nicht verwechseln, und kennen schon mal gar nicht. Ich kannte sie definitiv nicht und soweit ich gehört habe, sprach sie französisch. Als sie zum Ausgang ging, haben wir uns noch einmal angeschaut und ich habe sie angelächelt, auch ihre Begleiterinnen. War es eine Mutprobe gewesen oder ein Ausdruck von totaler Verwirrung? War ihr so nach Küssen gewesen, dass es ganz egal war, wen sie küssen würde?
Als ich später schweigend meinen Bus Richtung Rottweil steuerte, hing ich meinen Gedanken nach. Und ich begann, mich über mich selbst zu wundern, eher noch zu ärgern. Warum hatte ich mich abgewandt, war ihrer Umarmung ausgewichen? Wäre es nicht etwas herrlich Verrücktes gewesen, auf einem Flughafen in Frankreich spontan das Angebot einer völlig Unbekannten anzunehmen und sie zu umarmen und zu küssen? Und entspricht das nicht exakt dem Neuen und Unerwarteten, das ich mir für mein Leben wünsche? Warum kam als Erstes der abwertende Gedanke auf, dass ich ja unmöglich gemeint sein könnte? Was hätte sich alles ergeben können! Vielleicht war ich ja gemeint, aus irgendwelchen Gründen, die für mich nicht offensichtlich waren, und habe mit meinem Verhalten eine geniale Chance verpasst?
Könnte es sein, dass man Dich benutzen wollte, um gegenüber den „Freundinnen“ Punkte zu machen? War es vielleicht eine Mutprobe? War es eine Wette? Möchtest Du Dich benutzen lassen, wofür auch immer?
Ich würde das nicht wollen. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich aus einer solchen Szene etwas ergibt, das Dich weiterbringt. Schließlich hättest Du Dich ja gar nicht weiter mit ihr beschäftigen können, da Du ja arbeiten mußtest! Was also soll bei solch einer Sache herauskommen?
Ich kenne (leider) einige Frauen, die keine Gelegenheit auslassen, einen Mann in der Nähe auf jedwede Weise zu provozieren. Das ist komplett oberflächlich und vor allem unehrlich. Das hasse ich!