Wenn man sich einmal den Luxus gönnt, sich entgegen der üblichen Fortbewegungsart auf die eigenen Füße zu verlassen, erlebt man vieles viel intensiver als sonst. Mir ist das vor sieben Jahren auf dem Jakobsweg zum ersten Mal aufgefallen. Wenn ich auf einen Ort zugegangen bin, der noch fünf oder mehr Kilometer entfernt war, dann hat sich der Eindruck und die Ansicht des Ortes ständig verändert, mit jedem Schritt, den ich gemacht habe. Das war mir so vorher nicht aufgefallen. Es können aber auch Gerüche in der Natur sein, Pflanzen oder Tiere, die man sonst übersehen hätte oder auch die Wahrnehmung des Untergrunds, auf dem ich laufe. Wie wenig achte ich im normalen Leben auf derartige Dinge!
Während meines Weges auf dem PCT sind mir besonders die Bäume aufgefallen. Und eigentlich wollte ich diesen Text schon vor zwei Monaten geschrieben haben. Nun sind Bäume natürlich nicht so besonders, auch in Deutschland gibt es davon viele. Auf dem PCT war es trotzdem etwas Anderes. Ich kenne ja die Kiefernwälder der Mark Brandenburg noch aus meiner Kindheit ziemlich gut. Die Kiefernart, die ich dagegen in Kalifornien antraf, hatte Nadeln von mindestens doppelter Länge. Die Borke hatte eine Stärke wie massives Kaminholz in Mitteleuropa. Und die Höhe eines ausgewachsenen Baumes war sicherlich um die Hälfte höher, als die der Bäume bei uns.
Besonders imponiert haben mir Bäume, die mich an die immergrünen Thuja-Pflanzen in deutschen Vorgärten erinnerten. Es könnte eine Zedern-art gewesen sein, ich kenne mich aber nicht aus und fand auch niemanden, der mir diesbezüglich weiterhelfen konnte. Neben der beeindruckenden Höhe der Bäume und der Stärke des Stammes war die Rinde der älteren Bäume wie ausgefranst. Lange Fäden hingen an ihnen herunter, unterstrichen damit den ehrwürdigen Habitus der einzelnen, riesigen Bäume und die Feuchtigkeit hatte die Rinde teils grün verfärbt und tief eingekerbt. Mich erinnerten sie an eine Sequenz aus der Verfilmung aus „Herr der Ringe“, in denen alte Bäume in der Dunkelheit sich über den Krieg austauschen und die Hobbits in den Kronen der Bäume mithören.
Diese Bäume haben mich lange nicht losgelassen. Und da der PCT meist durch Gebiete führte, die mit „Wilderness“ bezeichnet wurden und unseren Naturschutzgebieten entsprechen, fand ich viele umgestürzte Bäume in verschiedenen Stadien des Zerfalls. Dort, wo diese Bäume über den Weg gestürzt waren, hatten die Volontäre ein Stück des Stammes entfernt, um den Weg wieder frei zu machen. Das herausgeschnittene Stück wurde einfach beiseite gerollt, sodass es bei der Fortsetzung des Weges nicht mehr störte. Wie oft stand ich in einem schmalen Durchgang zwischen den beiden Teilen des umgefallenen Baumes. Oft war der Durchmesser des Baumes dann im Liegen noch höher als meine Körpergröße, und es waren Momente intensiv empfundener Ehrfurcht vor der Größe und der Würde dieser alten Bäume.
Aber auch dort, wo durch Feuer die Vegetation zerstört worden war, blieben Spuren von beeindruckender Intensität. Zum Beispiel die Reste ausgebrannter Bäume (auch wenn ich weiß, dass das Bild oben ein bisschen verwackelt ist….). Wenn durch das Feuer die Borke zerstört und später abgefallen war, blieben Bäume von silbergrauer Farbe übrig. Und es bewegte mich sehr, wenn ein ganzer Wald aus diesen grauen Resten bestand und von früherem Leben zeugte.
Auch der Verfall des Holzes zeigte sich mir bisweilen mit einer ungeahnten Schönheit. So viele Reste habe ich gesehen, in verschiedenen Stadien des Zerfalls, im warmen kalifornischen Sonnenlicht, mit Farben in Bronzetönen, bis hin zu einer Konsistenz, die mich an einen Schwamm erinnerte. Und oft bin ich in der Stille des Waldes einfach stehengeblieben, um mir das in Ruhe anzuschauen und zu würdigen, was mir da begegnet war. Ich erlebte, wie sich die Faszination über dieses Material auf meine Fotos übertrug, wie ich wieder anfing, Bilder zu gestalten und über den richtigen Ausschnitt oder Sonnenstand nachzudenken. Auf einmal spürte ich in mir, dass ich mich gerne mit dieser Thematik intensiv beschäftigt hätte. Wäre ich nicht zum Wandern auf dem PCT unterwegs gewesen, hätte ich gerne mit ausreichender Zeit, einer guten Ausrüstung und einem soliden Stativ Bilder von Holz und Bäumen gemacht. Den Bildband hatte ich bereits fertig von Augen, mit guter Grafik und auf anspruchsvollem Papier gedruckt. Meine ganze Begeisterung hätte aus den Bildern gesprochen.
Und da merkte ich es: Er ist noch nicht ganz tot, der Fotograf in mir!
Schöne Fotos, Matthias!
Da fällt mir ein Gedicht von Erich Kästner ein „Die Wälder schweigen“
Schön gelesen hier:
https://m.youtube.com/watch?v=pqYZ8cfDaxI
Wer es selbst lesen möchte:
Die Jahreszeiten wandern durch die Wälder.
Man sieht es nicht. Man liest es nur im Blatt.
Die Jahreszeiten strolchen durch die Felder.
Man zählt die Tage. Und man zählt die Gelder.
Man sehnt sich fort aus dem Geschrei der Stadt.
Das Dächermeer schlägt ziegelrote Wellen.
Die Luft ist dick und wie aus grauem Tuch.
Man träumt von Äckern und von Pferdeställen.
Man träumt von grünen Teichen und Forellen.
Und möchte in die Stille zu Besuch.
Man flieht aus den Büros und den Fabriken.
Wohin, ist gleich! Die Erde ist ja rund!
Dort, wo die Gräser wie Bekannte nicken
und wo die Spinnen seidne Strümpfe stricken,
wird man gesund.
Die Seele wird vom Pflastertreten krumm.
Mit Bäumen kann man wie mit Brüdern reden
und tauscht bei ihnen seine Seele um.
Die Wälder schweigen. Doch sie sind nicht stumm.
Und wer auch kommen mag, sie trösten jeden.
Sehr schöne Fotos!