Momente des Glücks

Als ich sie kennen lernte, war sie Auszubildende in der Firma, in der ich als Fotograf angestellt war. Sie lernte damals Industriekauffrau und rotierte durch alle relevanten Abteilungen, so auch ein paar Tage durch die Fotoabteilung, die ein Bestandteil der Marketingabteilung war. Wir verstanden uns gleich, und ich mochte ihre besondere Art, die Interesse, Willen und Zielstrebigkeit ausstrahlte. Allerdings verloren wir uns dann wieder aus den Augen, als sie nach Beendigung ihrer Ausbildung zur amerikanischen Filiale wechselte und ich die Firma später verließ, um mich mit meinem Fotostudio selbständig zu machen.

Dort trafen wir uns einige Jahre später wieder, als sie bei einem Job als Modell fungierte und ihre Sache ziemlich gut machte. Und wieder etwas später saß sie mir im Büro gegenüber, als sie, ein wenig verlegen nach Worten suchend, mich wegen eines Praktikums oder einer Ausbildungsstelle fragte. Mit der Industrie hatte sie abgeschlossen, sie wollte nun eine fotografische Ausbildung machen, und diese wollte sie unbedingt bei mir machen. Eigentlich brauchte ich keine weitere Mitarbeiterin, sie jedoch gönnte ich niemand Anderem. Und wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, so “schenkte” ich ihr zu ihrem Geburtstag das fertig ausgefüllte Formular eines Ausbildungsvertrages.

So wurde sie zu meiner “Lieblings-Azubine”. Gleich der erste Job, den wir zusammen machten, hatte es in sich. Wir waren vier Tage auf der Autobahn, um Raststätten zu fotografieren. Und standen derartig oft im Stau, dass wir am Schluß nur noch Lachanfälle bekamen, wenn wir in den Nächsten hineinfuhren. Das ist eine bleibende Erinnerung geworden. Aber auch viele andere Erinnerungen sind mir geblieben. Ich mochte den klaren, geraden Blick aus ihren Augen. Immer schätzte ich an ihr die zielstrebige Art, das Wissbegierige und die Konsequenz, mit der sie das Wissen aufsog. Auf sie konnte ich mich immer verlassen. Dazu liebte ich die leicht ironische, stets schlagferige Art, wie sie mit ihrem Chef umging, und die Freundlichkeit und Souveränität, mit der sie den Kunden begegnete. Wenn es dann auch mal um private Dinge ging, war sie immer eine gute Gesprächspartnerin, mitfühlend und empathisch. Meine Freunde fragen mich immer wieder nach ihr, und niemand hat sie vergessen.

Natürlich ist sie eine gute Fotografin geworden, eine der Besten ihres Jahrgangs. Es hat mich stolz gemacht, dass ich Ihr mein Wissen soweit weitergegeben hatte, dass sie auch in diesem Beruf erfolgreich sein würde. Gerne hätte ich auch langfristig mit ihr zusammengearbeitet, zum Beispiel als Geschäftspartnerin eines gut laufenden Fotostudios. Ihre Pläne waren jedoch Andere und mein Studio gehörte bald auch nicht mehr zu den gut laufenden….

Vor zwei Tagen habe ich sie wiedergesehen. Gute zwölf Jahre liegen dazwischen, in denen wir uns nicht mehr gesehen haben. In diesen zwölf Jahren ist sowohl bei mir als auch bei ihr sehr viel geschehen. Auch sie arbeitet inzwischen nicht mehr als Fotografin, ist verheiratet und hat erneut eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Erst seit kurzem haben wir über Kurznachrichten wieder Kontakt. Und nun traf es sich, dass ich im Rahmen meiner Tätigkeit ganz dicht bei ihrem Wohnort übernachtete. Und so informierte ich sie darüber und wir trafen uns zum Essen in meinem Hotel. Wir erkannten uns sofort wieder, haben uns wohl nicht so gravierend verändert und waren sofort im Gespräch. Und es waren Momente des Glücks, zu erleben, wie vertraut wir uns noch immer sind, einander verstehen und zuhören können. Es war schön, wie wir gemeinsam über die Erinnerungen lachen konnten und noch immer für die damalige Leistung des Anderen dankbar sind. Ich bin sehr froh über das Gefühl, dass es nur zwei Tage waren, die wir uns nicht gesehen oder gesprochen haben….

Momente des Glücks

2 Gedanken zu „Momente des Glücks

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